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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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kennst du das überhaupt? Dafür bist du doch noch viel zu jung.»
    «Das lass mal meine Sorge sein. Ist dir aufgefallen, dass alle Darsteller genau so aussehen, wie sie mit bürgerlichem Namen heißen?»
    «Hä. Versteh ich nicht. Wie meinst du das?»
    «Der Hauptdarsteller heißt doch Sigmar Solbach.»
    «Ja, und?»
    «Sigmar Solbach sieht genau so aus wie jemand, der Sigmar Solbach heißt. Ein gutaussehender Mann, jedenfalls, wie sich gewisse Frauen einen gutaussehenden Mann vorstellen, aus halbwegs gutem Haus mit Abitur und einer gewissen Tendenz zur Pfannkuchenhaftigkeit.»
    «Ach so. Stimmt.»
    «Und erinnerst du dich an die Tierärztin, mit der er ein Techtelmechtel hatte?»
    «Ja, klar, ich weiß aber nicht mehr, wie die im richtigen Leben heißt.»
    «Daniela Strietzel. Zwergenhaft klein, untersetzt, Himmelfahrtsnase. Stimmt also auch.»
    «Stimmt.»
    «Weiter geht’s. Die zentralen Nebenrollen, also Haushälterin und ihr einfältiger Bruder, beide typisch bayrische Grantler und Urviecher, werden von Erna Sowieso und Alois Sowieso besetzt. Und der ebenso skrupellose wie sexbesessene Antagonist von Dr.   Stefan Frank: Siemen Rühaak.»
    «Ach, der Schönheitschirurg.»
    «Genau, geldgeiler Schnipsler, wie er im Buche steht. Siemen Rühaak, da stellt man sich jemand Schlanken mit schmal geschnittenem Gesicht, schönen Händen und hoher Stirn vor. Und genau so ist es auch.»
    «Stimmt schon wieder.»
    Herrliches Gespräch. Ich konnte trotzdem nicht mehr und schlief ein.

SAMSTAG
    Die Zunge Europas
    Die Sonne knallte mir direkt auf den Kopf, es musste also irgendwas zwischen eins und zwei sein. Meine Lippen fühlten sich taub und gedunsen an, ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund, wie Blut. Die Kleidung klebte am Körper, meine Füße waren kochend heiß; noch nicht einmal die Schuhe hatte ich ausgezogen. Ich ruckelte vorsichtig mit dem Kopf. Fühlte sich nach Sofalehne an, also alles wie immer. Ich horchte in mich hinein, um das unmittelbare Gefühl zu ergründen, das sich direkt nach dem Aufwachen einstellt. Ganz gut. Ich fühlte mich, wie jemand sich fühlt, der einiges richtig und wenig falsch gemacht hat, woraufhin Dinge passiert sind, die man nicht für möglich gehalten hätte.
    Wie ich wohl im Schlaf aussehe? Ein fratzenhaft entstellter Ausdünster? Ein angeschwemmter, halb vermoderter Wal, ein von einer Wolke vergorener Unterleibszersetzungsprodukte eingehülltes Vieh? Ein Vieh, das beständig ekelhafte Geräusche absondert: Schnarchen, Schnauben, Röcheln, Grunzen, Furzen, Rülpsen, Schmatzen. Monsieur 100   Dezibel, schon von der Lautstärke zum ewigen Alleinschlafen verdammt. Die Wahrheit über einenMenschen: wie er im Schlaf ist. Tja. Obwohl das ja wohl objektiv wichtig ist, hatte ich mir darüber noch nie richtig Gedanken gemacht. Um das rauszukriegen, müsste ich mich quasi selbst observieren. Vielleicht war es ja auch ganz anders. Schönes Bild: Ein normaler,
mittlerer
Mann, dessen Brustkorb sich unmerklich hebt und senkt, die Andeutung eines Lächelns auf den von undramatischen Träumen entspannten Zügen; alle halbe Stunde dreht er sich um (drehen, nicht wälzen), rechts, links, Mitte, wie es sich gehört. Der Mann sieht nicht aus wie ein mit einem abgesplitterten Kochlöffel zu Tode geschabtes Rührei, sondern wie ein edles Stück Fleisch mit definierter Struktur und Maserung. Die Haut ist trocken, der Mann schwitzt nicht, es gibt nichts zu schwitzen oder auszuschwitzen, weder ein schlechtes Gewissen noch ein schlechtes Sonstwas. Ein vom Spielen, Tollen und vielen heiteren, jedoch nie banalen Gedanken redlich erschöpfter Lausbub.
     
    Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, dass Janne sich eine Zigarette angesteckt hatte. Vielleicht lag bzw. saß sie schlafend neben mir. Wie wäre das eigentlich? Einerseits, andererseits. Ich konzentrierte mich, so doll ich konnte. Wenn sie tatsächlich noch hier wäre, müssten doch Atemgeräusche, Stoffrascheln, irgendwas zu hören sein. Man spürt doch die Anwesenheit eines anderen. Nichts, nur von draußen entferntes Kindergeschrei, Autos und die Bimmel vom Eismann. Oder Eiermann. Oder Eimann. Klingelingeling. Vielleicht war ja auch
alles
Einbildung, und ich wälzte mich schon wieder in einer Pfütze.
    Gott o Gott, das hatte ich ja ganz vergessen! Gesterndie teure Federkernmatratze, heute das teure Sitzmöbel, morgen die noch teurere Küchenzeile. Vorsichtig ließ ich meine Hand nach unten wandern: Klebrig, aber trocken, die Tanks
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