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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas
Autoren: Heinz Strunk
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schaue ich die Leute traurig an und schleiche mit hängenden Schultern davon. Variante: Ich gehe entschlossen vorbei, als wollte ich eh woandershin (Haltestelle/​Kiosk/​Sonntagsspaziergang).
     
    Lediglich an dem winzig kleinen Zweiertisch ganz rechts außen war heute noch ein Plätzchen frei. Eben, kein Platz, sondern ein Plätzchen, ein Katzentisch, mit extra kleinen Stühlen, die extra nicht zusammenpassten, Miniaturaschenbecher und winzigen Salz- und Pfefferstreuern. Im Zuckerstreuer kämpfte eine Wespe ums Überleben. Auf einem lächerlich schmalen und seltsam hohen Stuhl, der aussah wie ein Kindersitz, thronte eine Frau und wühlte sich durch die Sonntagszeitung. Mit ihrem pechschwarzen, von einer knallroten Strähne durchsetzten Bubikopf, der
witzigen
Brille (lila Gestell mit gelben Tupfern) und dem Hosenanzug (meine Güte, bei den Temperaturen Hosenanzug) sah sie aus wie eine Grünen-Politikerin aus den frühen Neunzigern. Auf ihrem Brustbein bildeten sich Schweißperlen, die in den Ausschnitt des T-Shirts rannen, und ihr Hals verschwand fast im hellgrünen Jackett, aus dem sie herausschaute wie ein Vogel aus einem Sack. Kiebig. Missgelaunt. Sie warf mir einen bösen Blick zu. Offensichtlich mochte sie Männer im Allgemeinen und mich im Speziellen nicht. Männer: Erst besetzen sie fremde Tische, dann fremde Länder. Alles andere ist Täuschung, Leerlauf und Übersprungshandlung. Politische Arbeit lässt keinen Raum für Humor. Sie kratzt sich unter den schweißnassen, dichtbehaarten Achseln und weiß, dass sie recht hat. Esther! Sie
musste
Esther heißen. Ichwusste auch, dass ich recht hatte. Und ich mochte sie auch nicht.
    Ich ging zum Bestellen nach drinnen, sonst kann man am WE warten, bis man schwarz wird. Betreiber/​Servicekräfte/​Reinigungspersonal/​Inhaber des «Pustekuchen» sind eine Frau und ein Mann um die dreißig, von denen ich bis heute nicht weiß, ob sie lediglich Geschäftspartner sind oder ein
Pärchen
mit allem Drum und Dran. Manchmal denke ich ja, manchmal wieder nein. Zärtlichkeiten tauschen sie nie aus, aber das will ja nichts heißen.
    Die Frau (Karen) ist sicher eins achtzig, eine knochige Erscheinung mit flachem Gesicht. Das Auffälligste an ihr: Links oben grau angelaufener Schneidezahn. Vielleicht hat sie Angst vor dem Zahnarzt, oder der Zahn ist ihr Markenzeichen, ein Schönheitsfleck paradox, die Leute kommen ja auf die verrücktesten Ideen. Das andere Markenzeichen ist ihr platter Po, wirklich, platt wie eine Briefmarke. Vielleicht hängen Zahn und Po auch zusammen: Als sie unter Vollnarkose den Zahn hat machen lassen wollen, war die Tinte auf der O P-Anweisung zerlaufen, und der Chirurg hat ihr versehentlich den ganzen Po abgesaugt.
    Der Mann (Frank), halber Kopf kleiner, spillrige Beine, dürre Schultern, hat aufgrund seines ausdruckslosen Gesichts eine frappierende Ähnlichkeit mit Fantomas, dem genialen Superganoven aus den Louis-de-Funès-Filmen. Der Fantomas im Film trägt allerdings eine Gummimaske, bei Frank hingegen ist, soweit ich das beurteilen kann, alles Fleisch. Vielleicht ist sein Gesicht schlecht durchblutet, oder er ist als Kind in eine Gefriertruhe gefallen. Oder: kargesInnenleben. Egal, man weiß es nicht, und fragen kann ich ihn ja schlecht.
    Komplettiert wird die Mannschaft von einem ewig in Schwarz gekleideten, sehr jungen Mädchen, das aber meistens nur an den Wochenenden dort ist, manchmal auch Fantomas an seinem freien Tag vertritt. Sie sieht aus wie ein Gruftie, wenn es die überhaupt noch gibt, hat ein angemessen mondbleiches, von unzähligen Äderchen durchzogenes Gesicht und praktisch keine Taille: ein Fässchen. Um den Hals trägt sie Pilzketten aus Fimoknete, die im Schwarzlicht der Goapartys immer so schön leuchten. Mutmaßung: In einer Ecke ihres W G-Zimmers hat sie sich ein Atelier eingerichtet, wo sie unermüdlich Elfen, Trolle und Gnome bastelt. Ihr rechtes Handgelenk zieren Eintrittsbänder diverser Events: Shivamoon, Excalibur, Fusion. Das sieht aus wie Wolle Petry mit seinen Freundschaftsbändern.
    Dass in der
Gastro
eigentlich immer alles zack, zack gehen muss, ist nicht zu Fantomas und seiner Crew vorgedrungen. Zeitlupenhaft schlurfen sie auf Puddingbeinen in die Küche und wieder zurück, wie Lebewesen, die ihren Stoffwechsel je nach Bedarf rauf- und runterfahren. Wenn Kaffee durchläuft, schnüffeln sie manchmal sehnsüchtig, sie dürfen das braune Teufelszeug jedoch nie selber probieren, da ihre auf halber Kraft laufenden
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