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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition)
Autoren: Georg Klein
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bereits im Tonfall meiner Antworten mitschwingen. Und die ärgste Strafe, die meines Wissens überhaupt je einen Nothelfer ereilt hat, nämlich als Spätling einem Steinbrechertrupp zugewiesen zu werden, erschien mir heute Nachmittag und erscheint mir weiterhin viel zu mild, gemessen an der Einmaligkeit meines Vergehens.
    Unsere Barmherzige Schwester ist nur wenig älter als ich, aber recht dick. Leibesfülle ist bei uns sehr selten. Ich kenne nur einige gestandene Steinbrecher, denen es gelungen ist, die Extrarationen, die für Schwerstarbeit ausgegeben werden, in einem über den Gürtel gewölbten Bäuchlein anzulagern. Vielleicht wäre sogar fett die richtige Bezeichnung für die Beleibtheit der Barmherzigen Schwester, vorausgesetzt, man vermag dieses Eigenschaftswort bei Euch respektvoll über die Lippen zu bringen. Ich habe auf jeden Fall versucht, seine Buchstaben so hinzuschreiben, dass deren Wohlgeformtheit die in diesem Anwendungsfall nötigeHochachtung für mein und vielleicht auch für Euer Auge miteinschließt.
    Da es sich nicht schickt, der Barmherzigen Schwester ins Gesicht zu gaffen, beobachtete ich, während ich Auskunft über unseren Aufenthalt bei den Glasmachern gab, das Zucken der beiden Ringe, die ihr festes Fleisch zwischen dem Kinn und dem Halsausschnitt ihres Kittels wirft. Sie nickte viel und ließ ab und zu ein freundliches Brummen hören. Offenbar war sie mit meinem Bericht zufrieden. Ihre Fragen verrieten mir, dass Toctoc bereits vergleichbar gründlich vernommen worden war. Und abgesehen von der übertriebenen Hitzigkeit unser Hinfahrt war ja nichts vorgefallen, was ihren Tadel auf sich ziehen konnte. Erst jetzt gibt mir zu denken, wie genau sie sich nach der großen Findlingskugel erkundigte, bei deren Bearbeitung der Unfall geschehen war. Zweimal forderte sie mich auf, das abgesprengte Stück zu beschreiben. Noch ganz zuletzt, sie hatte sich bereits mit einem würdevollen Ächzen aus ihrem Stuhl erhoben, wollte sie wissen, was ich oder Toctoc, dem das Segment ja ein Weilchen in den Händen gelegen war, in dessen Bruchfläche – sei sie denn wirklich völlig klar gewesen? – gespiegelt gesehen hätten.
    Unsere Barmherzige Schwester ist früher, so geht der Weg der Berufung, eine schlichte Nothelferin, also eine von uns gewesen. Und damals, als sie noch mit einem Namen gerufen wurde, mochte ich sie, ich will Euch auch hierin nichts vormachen, besonders gut leiden. Smosmo, der mich zuletzt wohl fast genauso gut kannte wie meine Mutter, hat dies gespürt und Mirmir, so hieß sie damals, in meiner Sonnenhaus-Anfangszeit oft zusammen mit mir losgeschickt. Lernend habe ich ihren bis heute schlanken Händen beim Versorgen kleiner und großer Wunden zugesehen. Und auch wie man als Nothelfer einem Steinbrecher, einem Neubastler oder gar einem der gelehrten Mockmock-Beobachter,forschend und dennoch bescheiden, in die fiebrig glänzenden oder vom Schmerz getrübten Augen blickt, habe ich ihrem damals noch schmalen Gesicht abgeguckt. Womöglich hätte ich mit der Zeit sogar bemerken können, dass allein Mirmir in der Lage sein würde, in Smosmos Fußstapfen zu treten. Undenkbar ist auf jeden Fall gewesen, der tüchtige, stets gut gelaunte Toctoc oder ich, der Heimlichtuer und Zweifler, könnte das Los der Nachfolge ziehen.
    Mit Mirmir bin ich gleich in meiner ersten Woche in die Tiefe, zu den äußersten Mockmock-Beobachtern, hinabgesandt worden. In meiner Unerfahrenheit war mir, zumindest im Moment unseres Aufbruchs, nicht einmal die Besonderheit dieser Mission bewusst. Jetzt, wo ich mich schreibend erinnere, staune ich über die Länge des Wegs, den wir damals zu bewältigen hatten, über sein Ziel und über das, was uns dort erwartete. Schon als Erstlinge, ganz am Anfang des Unterrichts im Kugelturm, erfassen wir den Aufriss der Oberwelt, indem wir ihn viele Male mit dem Griffel auf geschliffenen Glanzstein zeichnen, und auf dieselbe Weise prägen wir uns das Stollennetz der Unterebene ein, wo wir in den Mutterkind-Kammern zu Hause sind. Euch müssten beide Pläne, so sie Euch vor Augen kämen, lächerlich simpel vorkommen. Und wahrscheinlich schüttelt ihr ungläubig den Kopf, wenn ich Euch jetzt gestehe, dass wir keine vergleichbar übersichtliche Abbildung von der Tiefwelt besitzen, obwohl deren einziger Bewohner doch lebensnotwendig für unsere Gemeinschaft ist.
    Alles, was uns Staub und Sand, was uns der Lehm und das Gestein, das Wasser und das Sonnenlicht nicht geben können, schenkt uns
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