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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht
Autoren: Ann Aguirre
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senkte er nur enttäuscht den Blick, und das sagte mir noch etwas über seinen Charakter: Er hatte nicht den nötigen Biss, um dort zu überleben, wo wir hingehen würden. Und das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war Caroline einen Grund mehr zu geben, mich zu hassen. Außerdem hatte Tegan noch nie von ihm gesprochen und wäre wahrscheinlich wenig begeistert, wenn wir Zach mitnahmen.
    Schließlich kam Elder Bigwater mit dem versprochenen Proviant in den Keller. » Ich habe gehört, du hast ein kleines Team zusammengestellt. Sehr tüchtig von dir, aber ich musste noch ein zweites Mal zum Markt, um alles Nötige zu besorgen.«
    Ich akzeptierte sein Lob, obwohl ich Tegan und Bleich nicht einmal gebeten hatte, mich zu begleiten. Selbst Pirscher hätte ich nicht gefragt, wenn er mich nicht mit diesem Kuss aus der Fassung gebracht hätte. Dennoch erschien es mir ratsam, mich vor dem Stadtvorsteher in einem möglichst guten Licht zu präsentieren.
    Zu meiner großen Erleichterung war er nicht auf ein Gespräch aus. So wie ich die Dinge sah, war bereits alles gesagt: Ich würde den Auftrag erfüllen, den er mir erteilt hatte. Was gab es da noch zu besprechen?
    Kurze Zeit später trafen die anderen ein. Pirscher kam als Erster, dann Bleich und schließlich auch Tegan. Mittlerweile war es Nacht geworden– die ideale Zeit, um uns unbemerkt davonzustehlen. Die Freaks, die die Stadt belagerten, schliefen ein gutes Stück entfernt, außerhalb der Reichweite unserer Gewehre, und falls wir unterwegs irgendwelchen Streunern begegneten, würden wir mit ihnen fertigwerden. Bis die Sonne aufging, sollten wir halbwegs in Sicherheit sein.
    » Ich werde euch eine Abschiedsrede ersparen«, sagte Bigwater. » Dass unser aller Schicksal jetzt in euren Händen liegt, wisst ihr bereits, und so bleibt mir nichts weiter übrig, als euch alles Gute zu wünschen.«
    » Gute Jagd«, korrigierte ich.
    Bigwater blickte mich verwirrt an, wiederholte aber meinen Jägerinnengruß. » Gute Jagd also, euch allen.«
    Er ging zu einem Holzregal mit Dosenfrüchten darin. » Wenn bitte alle mit anpacken könnten und das hier zur Seite schieben?«
    Nachdem das Regal aus dem Weg war, sahen wir den dunklen Tunnel, der sich dahinter erstreckte. Ein kühler Lufthauch schlug uns entgegen und zerrte an den Spinnweben, die von der Decke hingen. Er roch erdig, nach Freiheit. Ich war selbst überrascht von dem Gedanken, aber die Dunkelheit in den Stollen erinnerte mich an Unten. Es sollte mir nicht schwerfallen, den ersten Schritt zu machen.
    Bigwater wollte mir noch eine Laterne mitgeben, aber ich schüttelte den Kopf. Zu auffällig. Falls wir irgendwann doch eine Fackel brauchen sollten, konnten wir uns unterwegs eine machen, sobald wir weit genug weg waren. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich die nackte Erde an den Stollenwänden, die nur hier und da von mittlerweile morsch gewordenen Holzbalken abgestützt wurde. Der Tunnel war viel kleiner als die in der Enklave, und wir mussten uns bücken, um überhaupt hineinzupassen. Angespannt hielt ich Ausschau nach Gefahren, denn in dieser Enge war es kaum möglich, sich gegen einen Angreifer zu verteidigen. Glücklicherweise sah ich nur ein paar Ratten und Spinnen, die sich sofort versteckten, als wir näher kamen.
    » Schrecklich«, flüsterte Tegan. » Ich komme mir vor wie in einer Gruft. Als könnten wir alle hier sterben.«
    » Wir können überall sterben«, erwiderte Pirscher unbekümmert.
    Wie recht er hatte. So viele hatten während des Sommers ihr Leben gelassen, und wenn wir versagten, würden es noch unzählige mehr werden. Der blinde Balg aus Nassau kam mir wieder in den Sinn, und ich trauerte über seinen Tod, während ich gleichzeitig hoffte, das Schicksal möge mich gnädiger behandeln als ihn. Bleich sagte kein Wort, aber es hätte mich nicht gewundert, wenn er in diesem Moment das Gleiche gedacht hätte wie ich.
    Eine schiere Ewigkeit später spürte ich eine kalte Brise auf der Haut. Sand blies mir ins Gesicht, und der Tunnel stieg mit einem Mal steil an. Ich musste mich mit den Händen festhalten, um die letzten Meter zurückzulegen. Wieder einmal erstreckte sich vor uns das Unbekannte. Wieder einmal erwartete uns eine beinahe übermenschliche Aufgabe.
    Wir kletterten aus dem Tunnel und wandten uns nach Westen, wo die letzte Hoffnung für Erlösung lag.

NACHWORT
    In diesem Buch habe ich mir so genau wie möglich vorgestellt, wie eine auf religiösen Grundsätzen beruhende
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