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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht
Autoren: Ann Aguirre
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bereiten. Unsägliche Trauer überfiel mich, als ich daran dachte, was wir verloren hatten. Ich hatte geglaubt, er bräuchte nur etwas Zeit, aber seine Wunden reichten viel, viel tiefer, als ich es je für möglich gehalten hatte. Er ist viel weicher als du und ich. Irgendwann wirst du ihn zerbrechen , hörte ich Pirschers Stimme in meinem Kopf.
    Mag sein, dachte ich. Aber vielleicht kann ich ihn auch retten.
    Doch offensichtlich war es dafür noch zu früh. Er hatte genug gelitten. Ich konnte ihn unmöglich bitten, noch mehr für mich zu erdulden. Das bisschen Frieden, das Erlösung ihm im Moment geben konnte, hatte er mehr als verdient.
    » Auf Wiedersehen, Bleich.«
    Ich brachte es nicht über mich, die letzten Ereignisse noch einmal zu erzählen. Edmund würde es ihm erklären, falls Bleich weiterhin mit ihm zusammenarbeitete. Zumindest ein Stück weit erleichtert lief ich die Treppe hinunter, weg von hier, weg von Bleich, hinein in eine ungewisse Zukunft.
    » Wahrscheinlich habe ich es verdient«, murmelte er.
    Ich blieb stehen, drehte mich aber nicht um. » Was verdient?«
    » Dass du mir nicht mehr vertraust, mich nicht bittest mitzukommen.« Die Worte schwelten vor unterdrücktem Schmerz und Selbsthass, als hätte er das Gefühl, mich im Stich gelassen zu haben. » Aber vielleicht glaubst du ja auch, ich bin zu schwach, um dir helfen zu können.«
    Also wusste er bereits davon. Ich fragte nicht, wie er es erfahren hatte. Gerüchte verbreiteten sich schnell in Erlösung, als würde der Wind sie weitertragen.
    » Glaube ich nicht«, widersprach ich.
    Aber du, Bleich.
    » Wir sind doch immer noch Partner, oder?«, sagte er mit verzweifelter Hoffnung in der Stimme.
    Es tat entsetzlich weh, dass er überhaupt fragte. Dies war das zweite Mal, dass Bleich sich nach einer Verwundung von mir zurückzog– als hätte ich nicht die Kraft, ihm zu helfen, als könnte ich ihm keine Sicherheit geben, und diese Zurückweisung zerbrach mein Herz in tausend Stücke. Doch jetzt war nicht die Zeit, meinen Gefühlen nachzuspüren. Ich rief mir ins Bewusstsein, dass es Bleichs Selbstzweifel waren, die zwischen uns standen und ihn bluten ließen wie unsichtbare Messer. Also versuchte ich, ein möglichst neutrales Gesicht aufzusetzen, denn mein Mitleid würde ihm den Rest geben.
    Dann drehte ich mich um. » Ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich habe dich nur nicht um deine Hilfe gebeten, weil ich dir nicht zu nahe treten wollte. Was mich angeht… ich möchte dich immer in meiner Nähe haben.«
    » Ich will nicht hierbleiben. Im Moment kann ich mich nicht einmal selbst ertragen. Kann ich mit dir kommen?«
    Der Schmerz in seiner Stimme besänftigte mich. » Du hast gesagt, du kannst nicht sein, was ich brauche. Aber du bist der, den ich will. Selbst wenn du dich aufgegeben hast, ich glaube an dich, und ich werde für dich kämpfen.«
    » Sag das nicht«, flüsterte er. » Ich bin es nicht wert.«
    » Das ist nicht wahr.«
    Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworfen, aber er war schon erschrocken, als ich ihn nur sachte geküsst hatte. Ich musste es langsam angehen, und wenigstens sprach er jetzt wieder mit mir. Wie Tegan gesagt hatte: Es gab keinen Zauber, der mir Bleich zurückbringen würde. Er musste selbst darauf kommen, wie wichtig und wertvoll er für mich war, und ich würde eben warten. Ganz egal, wie lange es dauern mochte.
    Weil mir nichts Besseres einfiel, hauchte ich ihm einen Kuss zu, wie ich es bei den Mädchen in Erlösung gesehen hatte, und er hob tatsächlich die Hand, als würde er ihn auffangen. Hoffnung flatterte in meinem Bauch wie ein frisch geschlüpfter Vogel. Mit einem Lächeln auf den Lippen schritt ich davon und hielt Ausschau nach Carolines Anhängern, für den Fall, dass sie mir unterwegs auflauerten. Kurze Zeit später hatte ich das Haus der Bigwaters erreicht und sah Zach auf der Veranda stehen. Er wartete schon auf mich und führte mich durchs Haus. Also hatte sein Vater ihn eingeweiht.
    Wir gingen eine Treppe hinunter in einen trockenen Lagerraum mit Lehmboden.
    » Drei Freunde von mir sind auf dem Weg hierher. Könntest du oben auf sie warten?«, fragte ich.
    » Natürlich«, erwiderte er, zögerte aber, sichtlich hin- und hergerissen. » Ich wünschte, ich könnte mitkommen. Wie ich gehört habe, wirst du Tegan mitnehmen, und ich… mag sie sehr.«
    Sein Mut beeindruckte mich, aber er hatte einfach nicht die nötige Erfahrung für die Aufgabe. Als ich sein Angebot höflich ablehnte,
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