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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht
Autoren: Ann Aguirre
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Grund, weshalb er sie dir vermacht hat, Zwei. Jetzt, da er nicht mehr ist, bist du diejenige, die am ehesten weiterführen kann, was er begonnen hat. Niemand hat so viel Erfahrung mit dem Überleben in der Wildnis wie du.«
    Ich wog in Gedanken die Möglichkeiten ab und sah beunruhigende Parallelen zu dem Selbstmordkommando, auf das sie den blinden Balg aus Nassau geschickt hatten. Meine Erfahrung war keine Überlebensgarantie, aber wenn ich hierblieb, würde ich so oder so sterben, so viel war sicher. Entweder würde Carolines Mob mich vor die Tore werfen, oder die Freaks würden die Stadt stürmen. Eine andere Möglichkeit sah ich nicht. Wenn ich Bigwaters Auftrag annahm, konnte ich mir wenigstens aussuchen, wie ich starb, wie auch Draufgänger es getan hatte. Vielleicht hatte er aber auch gar nicht gewollt, dass ich gehe. Vielleicht behauptete Elder das nur, um mich von seinem Plan zu überzeugen.
    Aber es war ein guter Plan, und die Aussicht, Draufgänger stolz zu machen, gefiel mir. Er hatte mir zweimal das Leben gerettet, und jetzt war ich an der Reihe, etwas für ihn zu tun, selbst wenn er es nicht mehr erlebte.
    » In Ordnung«, sagte ich ruhig. » Ich brauche nur noch Zeit, um mich zu verabschieden und es meinen Pflegeeltern zu erklären. Oma Oaks wird die Nachricht nicht gut aufnehmen.«
    In Elders Augen flackerte ehrlich empfundene Trauer auf. » Wegen Daniel.«
    » Ja, Sir.«
    » Ich werde alle nötigen Vorbereitungen für deine Reise treffen lassen«, erwiderte er und überlegte dann kurz. » Du bist ein mutiges Mädchen und eine Zierde für diese Stadt, ganz egal, was meine Frau auch sagen mag.«
    » Danke.« Es sollte mich nicht kümmern, was der Stadtvorsteher von mir hielt, trotzdem taten seine Worte mir gut, denn sie bedeuteten, dass ich alles richtig gemacht und etwas bewirkt hatte. Blieb nur noch ein letztes Problem. » Wie komme ich hier raus?«
    » Es wissen nur wenige, Zwei, aber als die Stadt gegründet wurde, grub man einen geheimen Tunnel. Er beginnt im Keller meines Hauses und endet ein kurzes Stück hinter der Schutzmauer. Ich weiß nicht, in welchem Zustand er mittlerweile ist, denn er wurde seit fünfzig Jahren nicht benutzt. Du wirst vorsichtig sein müssen.«
    Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. » Am besten gehe ich noch heute Nacht. In der Dunkelheit kann ich mich besser an den Freaks vorbeischleichen.«
    » Dann sehen wir uns in meinem Haus.«
    Er drückte mir zum Abschied die Schulter, und ich machte mich auf den Weg zu Oma Oaks. Vielleicht zum letzten Mal.
    » Ich habe alles von dem Zwischenfall mit dieser schrecklichen Caroline Bigwater gehört«, begrüßte sie mich. » Es tut mir so leid, Kind. Aber nicht alle Frauen sind so, das verspreche ich dir.« Ihr fiel auf, wie still ich war. Sie musterte mich eine Weile, dann wurde sie blass. » Was ist passiert?«
    Beinahe im Flüsterton erklärte ich ihr, dass ich fortgehen würde, und auch den Grund dafür. Ich sah in ihrem Gesicht, dass sie protestieren wollte. Warum musst ausgerechnet du gehen?, fragte sie sich in Gedanken, und dafür liebte ich sie. Oma Oaks würde mich vermissen. Sie würde sich an mich erinnern, selbst wenn ich nicht zurückkehrte. Tapfer blinzelte sie die Tränen aus den Augen und zog mich an ihre Brust. Starr stand ich da und ließ es über mich ergehen. Ich hatte Angst, ich könnte zusammenbrechen, wenn ich diesen Abschied zu nahe an mich heranließ, und dann würde alles nur umso schwerer.
    » Du wirst deine Sachen packen müssen«, sagte sie und ließ mich los.
    » Ja«, erwiderte ich nur und ging zur Treppe.
    » Eigentlich sollte es eine Überraschung für später werden, aber wie die Dinge stehen, brauchst du sie jetzt. Ich habe dir neue Kleidung für deine Patrouillen genäht. Sie dürfte genau das Richtige für diese Reise sein.«
    Da war es um mich geschehen. Ich warf mich an ihren Hals und weinte wie ein Mädchen, das seine Mutter nicht verlassen wollte. Keine Spur mehr von der Jägerin in mir. Sie würde zurückkehren, sobald ich sie brauchte, doch im Moment war sie fehl am Platz.
    Sie versuchte erst gar nicht, meine Tränen zum Versiegen zu bringen. Stattdessen flüsterte sie allen möglichen Unsinn, strich mir übers Haar und sagte, alles würde gut werden. Wir wussten beide, die Wahrheit sah anders aus, aber ihre Lüge holte mich zurück in die Wirklichkeit, und auch dafür liebte ich sie. Ich wischte mir über die Augen, machte mich los und ging hinauf in mein Zimmer.
    Ich brauchte nicht
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