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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr
Autoren: Petra Oelker
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Wahrheit die Geschäfte des Kaufmanns nur fördern konnte. Trotzdem wurde aus der kleinen Handlung in einer schmutzigen Hintergasse bei Covent Garden, die vor allem vom Tee- und Branntweinschmuggel über dunkle Wege vom südenglischen Rye lebte, kein Handelshaus. Womöglich lag das auch daran, daß sowohl Weller als auch sein Herr allzu viele Abende in den zahlreichen Londoner Hinterhoftheatern verbrachten, in denen etliche der Aktricen ihre Reize nicht nur auf der Bühne verkauften.
    Eines Tages kam dann dieser Advokat und brachte die frohe Kunde von Pauls Erbschaft. Mit irgendeinem listigen Lehrer, kaum weniger betrügerisch als er selbst, wollte er den plötzlichen Reichtum ganz gewiß nicht teilen.
    »Und dann«, an dieser Stelle schluchzte Madame Horstedt auf und nahm dankbar ein Glas Holunderwein entgegen, »nun ja, wir wissen natürlich nicht genau, was dann geschah. Aber ich denke, dieser böse Mensch hat mit dem lieben Adam gefeilscht, und als es nichts nützte, schritt er zur Tat. Diese seltsame Waffe hat er in dem Gasthaus gefunden. Der Uhrmacher-wobei ich nicht sagen will, daß dessen Nachlässigkeit an allem schuld ist, obwohl das durchaus zu bedenken wäre – der Uhrmacher hat sie dort liegengelassen, als er die Uhr in der Diele wartete.«
    Daß Karl Mosbert alias Alfred Weller in der Fronerei in tiefem Heber lag, mußte sie nicht erwähnen, das wußte jeder in der Stadt. Er hatte seine ganze Geschichte erzählt, Stück für Stück, der Hinweis auf die Kammer für die peinliche Befragung mit den glühenden Eisen gleich nebenan hatte bei Anfällen von Verstocktheit zweifellos nachgeholfen. Doch obwohl einer der geübteren Chirurgen sein zerschmettertes Bein gleich amputiert hatte, war zu befürchten, daß ihn der Brand doch noch tötete. Was Christoph Gottlieb Holländer, Ratsmitglied und Erster Richter am Oberngericht durchaus grämte. Einen Mörder, Betrüger und Totschläger wie diesen Weller könnte er nicht nur henken, sondern auch rädern lassen. Das wäre endlich wieder ein lehrreiches Beispiel für die Jugend, die für dieses Ereignis per Ratserlaß von Schule und Arbeit befreit werden würde.
    Regine Horstedt leerte ihr Glas in einem Zug, bemühte sich um ein tapferes Lächeln und sagte: »Doch nun, meine Lieben, genug von dieser schrecklichen Sache. Ich würde sehr gerne mehr über das Leben in dem schönen Johanniskloster wissen. Man spricht in der Stadt, daß dort ein alter Mönch umgehen soll. Das ist doch wirklich mal ein anregendes Ereignis.«
    In diesem Moment mußte Mademoiselle Meyerink den Kreis der Damen leider verlassen. Wirklich leider, die Domina erwartete sie längst. Zurück blieb nur ihr Duft nach Puder und Pomeranzen, was aber niemanden störte, denn ohne sie ließ sich viel vergnüglicher von den Geräuschen im Keller erzählen.
    Rosina passierte Madame Horstedt im Kreise ihrer Bewunderinnen immer noch auf der Suche nach Domina van Dorting, die seltsamerweise nicht zu finden war. »Meine Güte! Das arme Mädchen«, rief Mademoiselle Pollermann gerade, eine kugelrunde Dame in burgunderfarbener Seide mit einem hauchfeinen spitzengesäumten Batisthäubchen auf ihrem von Silberfäden durchzogenen, ebenfalls burgunderroten Haar. Rosina war froh, daß es doch noch jemanden gab, der Karla als ein Opfer des Pedells erkannte.
    Karla saß nun im Spinnhaus gefangen. Von Thilde Töltjes hatte man gehört, sie lebe jetzt bei ihrer Schwester, einer Wäscherin in Ovelgönne. Trotz der schweren Arbeit sei sie äußerst zufrieden, was nur befremdlich fand, wer Töltjes nicht kannte.
    Der Pedell, der Karla auf ihre kleinen Diebeszüge in den Klosterkeller geschickt hatte, würde lange Zeit im Werk- und Zuchthaus verbringen. Er hatte zwar immer wieder beteuert, er sei unschuldig, zu dieser kleinen Sache mit dem Keller der Stiftsdamen sei er nur verführt worden, weil jemand den Gang geöffnet habe, überhaupt habe er das nur durch einen Zufall gemerkt. Aber niemand glaubte ihm. Wer sonst sollte es auch getan haben? Etwa ein ehrbarer Lehrer nach gründlichem Studium der alten Klosterpläne, die er ebenfalls ganz zufällig in der Bibliothek entdeckt hatte, um ab und zu und stets nur für ein halbes Stündchen einer womöglich noch ehrbareren Klosterdame heimlich die Hand zu halten? Etwas so Absurdes fiel niemandem ein, und geglaubt hätte es gewiß auch niemand. Außer, vielleicht, die Domina.
    Die fanden Lisabeta und Rosina schließlich im Obstgarten. Sie stand mit Augusta und Anne vor einem
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