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Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)

Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)

Titel: Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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er unter seinen Füßen die Pflastersteine spürte, obwohl er die Geräusche der Menschen hörte und die Gerüche aus den Wirtshäusern und Bäckereien wahrnahm, war da eine Ferne, als ob all dies nur eine Illusion oder eine Widerspiegelung des längst Vergangenen sei. Es war ein beunruhigendes Gefühl, das ihn trotz der Wärme des Vormittags frieren ließ.
      
    »Halt!«, zischte Franklin plötzlich und zog Andreas ruckartig hinter eine Häuserecke. »Ich habe Larue gesehen«, sagte er dem völlig überraschten Römer. »Er geht vor dem Wirtshaus auf und ab. Sieht so aus, als würde er wirklich auf Julia warten.«
    »Und jetzt?«
    »Keine Sorge, ich hab einen Plan. Mich darf er nicht zu Gesicht bekommen, aber dich hat er nur einmal gesehen. Er würde dich bestimmt nicht wiedererkennen, außerdem ist er mit seinen Gedanken sicher woanders.«
    »Was hast du vor?«
    »Schau mal unauffällig um die Ecke, die Straße hinunter. Da steht Larue an der nächsten Kreuzung, richtig?«
    Andreas ging vorsichtig einen Schritt vorwärts und trat um die Ecke. Auf der Via Iovia Longa, einer der wichtigsten Straßen Pompejis, waren nicht wenige Menschen unterwegs; dennoch erkannte er nach kurzem Suchen in etwa dreißig Schritt Entfernung die Gestalt Dave Larues, der sichtlich unruhig vor einer Taverne stand und sich immer wieder nervös nach allen Seiten umsah.
    »Ja ich sehe ihn«, bestätigte Andreas.
    »Gut. Schräg gegenüber der Taverne, auf der linken Straßenseite, da ist ein Eckhaus mit vorragendem Obergeschoss. Kannst du das erkennen?«
    Das Gebäude war nicht schwer auszumachen, darum nickte Andreas sofort.
    »In das Haus müssen wir rein«, fuhr Franklin fort. »Und deshalb wirst du Larue ablenken, bis ich im Eingang verschwunden bin. Dann folgst du mir, verstanden?«
    »Ihn ablenken? Aber wie denn?«
    »Lass dir was einfallen. Sprich ihn an und frag ihn umständlich nach dem Weg. Ich brauche nur eine halbe Minute, das wirst du doch wohl hinkriegen, oder?«
    Andreas seufzte kurz. Aber es war nicht der Moment für lange Diskussionen, darum machte er sich auf. Er ging auf Dave Larue zu und überlegte fieberhaft, wie er wohl seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen konnte, ohne sein Misstrauen zu erwecken.
      
    Cornelius Claudius Eupor betrachtete nachdenklich das große Regal, in dessen Fächern zahllose Papyrusrollen lagen. Seine persönliche Bibliothek war sein ganzer Stolz; sie enthielt literarische Werke von höchstem Rang, majestätische Heldenepen und Liebesgedichte in zarten, filigranen Versen, die Geschichte längst zu Staub zerfallener Reiche und tiefgründige philosophische Schriften. Viele der Manuskripte waren seltene Einzelstücke, die Claudius für bedeutende Summen erstanden hatte; andere hatte er auf eigene Kosten durch die besten griechischen und römischen Schreiber von den Vorlagen kopieren lassen, fehlerfrei in gleichmäßigen, klaren Zeilen. Nur wenige Bürger Pompejis, etwa sein Freund Suettius Verus, nannten eine vergleichbare Sammlung von Schriften ihr Eigen, und keiner eine auserlesenere.
    Und dennoch bedrückte der Anblick des wohlgefüllten Regals Claudius Eupor. Er hatte eine schwere Entscheidung zu treffen, denn er musste unter den Büchern diejenigen auswählen, die ihm am wertvollsten erschienen. In den letzten Tagen hatten immer wieder kleine Erdstöße das Land am Fuß des Vesuvius erschüttert. Kaum jemand in der Stadt war deswegen besorgt, denn es war kein Schaden entstanden und kurze, harmlose Beben waren in Campania nichts Ungewöhnliches.
    Doch Claudius erinnerte sich noch gut an das große, schreckliche Erdbeben, das siebzehn Jahre zuvor Pompeji in Schutt und Asche gelegt hatte und dessen Spuren heute noch nicht überall beseitigt waren. Wenn seine Mitmenschen auch sorglos den Tag genießen mochten, er zog es vor, auf den schlimmsten aller Fälle vorbereitet zu sein. Schon vor zwei Tagen hatte er seine Frau mit den Kindern nach Neapolis geschickt. Nun überlegte er, welche seiner vielen Schriftrollen er in Sicherheit bringen sollte. Alle konnte er nicht fortschaffen, dazu war ihre Zahl zu groß. Entsprechend musste er unter ihnen wählen, und das fiel ihm unsagbar schwer. Er litt wie ein Vater, der vor der Entscheidung steht, fünf seiner Kinder dem sicheren Tod zu überantworten, um das sechste retten zu können. Schließlich, nachdem er lange vor dem Regal gestanden hatte, griff Claudius blind eine der Rollen.
    Er betrachtete Titel und Autor, die er selber auf der Außenseite in
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