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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle
Autoren: D.G. Compton
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im Nu aus einem vollkommen normalen Mann mittleren Alters in einen schwächlichen, schwachsinnigen sexlosen Tattergreis, in eine Beleidigung für die menschliche Rasse. Selbst seine Kleider – bei anderen Gelegenheiten bezaubernd altmodisch und auch bei diesem Wetter seiner Altersstufe angemessen – schienen hier ein Eingeständnis seines Versagens. Als schämte er sich, nackt in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Was zutraf.
    In der Gegenwart seiner Team-Mannschaft versuchte er, aufrechter zu gehen, seiner Stimme mehr sonoren Klang zu geben und Sorgenfalten zu zeigen, die seine hohe Stellung unterstrichen. Das alles zusammen machte ihn vielleicht zu einem noch viel schlimmeren Narren, als er sich das eingestehen wollte. Doch hatte er keinen Beweis dafür, so hervorragend war sein Team im Betragen geschult.
    Der Ausbildungsleiter wurde endlich auf ihn aufmerksam, winkte, lächelte. Dieses Lächeln tat David wohl. Er bekam dadurch das Gefühl, daß er nützlich war, wichtig und unentbehrlich. Das Lächeln eines Experten. Sofort kehrte die alte Unsicherheit zurück. Er war überflüssig, entbehrlich.
    »Kommen Sie herein, Projektleiter!« Er war ja schon eingetreten. »Nett, Sie zu sehen. Ich würde Sie bitten, doch öfters zu uns zu kommen, wenn ich nicht wüßte, wie beschäftigt Sie sind. Fühlen Sie sich bei uns ganz zu Hause.«
    David wurde sanft auf einen tiefen roten Ledersessel geschoben.
    »Ich will das Team nicht unterbrechen, Projektleiter. Diese eine Stunde ist so wichtig für die jungen Leute. Sie tummeln sich so ausgelassen wie Hunde, die man plötzlich auf einem großen weiten Sandstrand frei läßt.«
    Dieser Satz war so typisch für Sir Edwin, so aufreizend. Weil er so treffend die Wahrheit umschrieb? David Silberstein rang mit seinen Vorurteilen. Er ermahnte sich zum wiederholtenmal, man könne einem Mann nicht vorwerfen, daß er so unendlich liebenswürdig sei … Er riß sich zusammen.
    »Die Leute machen Ihnen Ehre, Sir Edwin. Ihnen und der Menschheit.«
    Und das war nicht einmal geschmeichelt, besonders wenn sie nackt waren, was doch so vielen sehr schlecht stand. Vielleicht hatte der Ausbildungsleiter selbst seine Zweifel – obgleich er sie nicht zeigte –, wenn er sich unter seine Schüler mischte. Kein junger Mann mehr, nicht mehr genug Fleisch, um die Haut auszufüllen – wäre er nicht besser daran gewesen, wenn er sich etwas angezogen hätte?
    »Natürlich ist es wichtig«, sagte der Ausbildungsleiter, »sie nicht nur als Fleischkörper zu betrachten. Auch nicht als psychosomatische Komplexe. Sie sind Individuen. Sie haben ihre Fehler – wir kultivieren diese Fehler sogar. Perfektion wäre langweilig, sogar widerwärtig.«
    Der Ausbildungsleiter lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. David Silberstein ertappte sich bei der Beobachtung, was für eine peinliche Verlagerung männlicher Anatomie bei diesem Akt stattfand. Er blickte rasch zur Seite. Vielleicht litt er an einem Genitalkomplex, vielleicht sogar an Fetischismus. Er blickte sich jetzt im Mannschaftsraum um, zwang sich mit geistiger Disziplin dazu, nur Hände und Gesichter zu bemerken … nicht anstößige Brüste, Bäuche, Brustwarzen oder Schamhaare. Auch das war krankhaft. Manchmal verwirrten ihn bereits Worte dieser Art. Eines Tages mußte er seinen ganzen Mut zusammennehmen und den Dorfpsychiater um eine vertrauliche Unterredung bitten.
    »Sehr richtig, Sir Edwin.« David hatte gar nicht zugehört. »Ich stimme Ihnen vollkommen zu.«
    Die übereinandergeschlagenen Beine gaben einen schnalzenden Laut von sich. Die Worte erstickten in seiner Anstrengung, ja nicht hinzusehen. Doch eine Antwort war wieder fällig.
    »Ich wünschte, ich könnte noch bleiben, Sir Edwin. Ich möchte mir einmal das Ausbildungsprogramm ansehen, aber leider …«
    Wenn er den Mann gemocht hätte, hätte ihm vielleicht auch die schrumpelige Haut seines – Gott, selbst das Wort allein schon war undenkbar. Er mußte fort, mußte sein Bewußtsein mit Sonnenlicht und dem Anblick grüner Hügel sauberwaschen.
    »Aber leider« – er erhob sich aus dem Sessel – »leider habe ich heute morgen eine Menge zu erledigen. Ich habe nur hereingeschaut um – einen Vorschlag zu machen.«
    Der Ausbildungsleiter hatte sich ebenfalls erhoben, aber elegant und voller Würde. Er stand schräg vor ihm, so daß David Silberstein nicht umhin konnte, das Webmuster der Couchpolsterung reliefartig auf der Haut des Arsches von … Arsch? Wohin verirrte sich
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