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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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hatte, steckte diese noch mit exakt zweiunddreißig Nadeln in ihrem runden Klöppelkissen, das auf einem Sessel lag. Achtzehn hölzerne Klöppel hingen an ihren Garnen in Positionen, die noch zu rekonstruieren waren. Die Stellen, wo auf dem Foto die Spitzen in lose Garne übergingen, hatte sie eruiert, und Angela war nun mit dem Geduldsspiel beschäftigt, die Handarbeit bis dorthin wieder aufzutrennen.
    »Mich hat das nicht so interessiert«, erzählte Knupp gerade, »Dalai Lama, Buddhismus und so. Meine Frau schon. Sie war immer auf der Suche. Trotzdem: Wir wären gescheiter nach Katmandu geflogen.« Und an den eintretenden Taler gewandt: »Angela liest auch Dalai Lama, wie Martha. – Kaffee?«
    Die Küche war der letzte Aufenthaltsort des Hauses, in dem man sich noch frei bewegen konnte. Alle anderen Zimmer waren entweder schon wiederhergestellt, wie Knupp es nannte, oder auf dem Weg dahin.
    Diese Arbeit war komplizierter, als sie gedacht hatten. Vor allem die unzähligen Kleingegenstände bereiteten ihnen Mühe. Der Winkel der Schere, die offen auf Marthas Nähtischchen gelegen hatte. Der Faltenwurf des Tischtuchs an den Ecken. Das Verhältnis zwischen dem runden Aschenbecher und dem ovalen Tischfeuerzeug. Es ging um Millimeter und Winkelgrade. Manchmal mussten Dutzende Fotos für einen einzigen Gegenstand gemacht werden. Taler hatte sich in der Küche auf einem Campingtisch einen Arbeitsplatz eingerichtet, wo er stundenlang mit Lauras Computer digitale Bilder einpasste und ausmaß.
    Dorthin setzte er sich nun, startete den Computer und öffnete das erste Bild: die Zeitung mit dem Nachruf auf Roy Black vom elften Oktober einundneunzig, die auf dem Sessel lag. Von draußen drangen der Lärm der Baumaschinen herein und ab und zu die Stimmen der Arbeiter. Knupp plauderte halblaut von früher, und Angela mühte sich mit den verschlungenen und verknüpften Garnen ab.
    »Ich wollte den Schraubstock wieder auf der Werkbank befestigen, aber da fehlt ein Teil«, sagte Peter in eine Pause hinein, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen.
    Erst als Knupp keine Antwort gab, sah er zu ihm hinüber. Der Alte saß da und tat, als hätte er die Bemerkung nicht gehört.
    Es war Taler schon oft aufgefallen, wie gut das Gehör des alten Mannes noch war. Er nahm ihm nicht ab, dass er ihn nicht gehört hatte. Aber er sagte es noch einmal.
    »Welches Teil?«, fragte Knupp jetzt.
    »Das Teil, das man zuerst auf der Tischplatte befestigt, um danach den Schraubstock draufschrauben zu können.«
    Knupp dachte nach. Dann zuckte er mit den Schultern. »Kannst du es Betrio sagen, Angela? So etwas sollte doch aufzutreiben sein.«
    Sie legte ihre Handarbeit beiseite, holte ihren Block aus einer der vielen Hosentaschen und machte sich eine Notiz.
    Irgendetwas stimmt nicht mit diesem fehlenden Teil, dachte Peter Taler. Sonst hätte Knupp nicht so ostentativ nachgedacht.
    Die Abräumarbeiten kamen rasch voran. Die Platten des Gartensitzplatzes waren entfernt und abtransportiert, das Sand- und Kiesbett darunter ausgehoben. Der oberirdische Pool war zerlegt, und zwei Maurer waren dabei, die Outdoor-Küche abzuspitzen.
    Bereits am Dienstag kamen die Gärtner und begannen mit den Vorbereitungen. Sie brachten Humus für die Stellen, an denen vorher Platten lagen und jetzt wieder Rasen hinkam, und sie entfernten die Pflanzen, die nach dem elften Oktober neunzehneinundneunzig gepflanzt worden waren. Das waren so gut wie alle.
    Als die Arbeiter in den Feierabend gingen, war vom Garten der Familie Hadlauber ein brauner Acker übriggeblieben mit einem einzigen Baum: der alten Mirabelle.
    Frau Kaab aus der Nummer dreiunddreißig, die Laura als Letzte lebend gesehen hatte, stand kopfschüttelnd am Gartenzaun und sagte immer wieder: »Alles für einen Film. Alles für einen Film.«
    Und Frau Gelphart meinte: »Wenn das mein Haus wäre, würde ich mich auch in Kanada verkriechen.«
    Die Gärtner begannen damit, anhand der Pläne die Standorte für die früheren Pflanzen abzustecken. Taler und Knupp überwachten die Arbeiten, Angela kümmerte sich im Haus weiter um die kniffligen Details.
    Am Mittwoch rief ihn Gerber auf dem Handy an. Taler erkannte die Nummer auf dem Display und rannte in Knupps Küche, damit der Anrufer den verräterischen Lärm des kleinen Baggers nicht mitbekam.
    Sein Chef war kurz angebunden und hielt sich länger mit der Frage nach seiner Rückkehr auf als mit der nach seinem Befinden. Taler machte ihm keine großen Hoffnungen auf eine
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