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Die Zeit des Boesen

Die Zeit des Boesen

Titel: Die Zeit des Boesen
Autoren: Vampira VA
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bitteren Armut außer Acht gelassen habe«. Ohne Zweifel wäre dieses Vorgehen auch bei anderen vermeindlichen Werwölfen, die zu jener Zeit ihr »Unwesen« trieben, angebrachter gewesen als der Scheiterhaufen.
    Wesentlich rätselhafter als die Fälle Garnier und Rollet, die sich mit der psychischen Instabilität der selbsternannten Werwölfe erklären lassen, ist die Geschichte des dreizehnjährigen Knaben Jean Gre-nier, der sich im Jahre 1603 vor dem Parlament von Bordeaux unter dem Vorsitz des damaligen Präsidenten Daffis dafür verantworten mußte, mindestens fünf Kinder aus der Gegend des Ortes Paulot getötet zu haben. Dabei war Grenier lediglich deshalb festgenommen worden, weil er ein junges Mädchen namens Marguerite Poirier, mit dem zusammen er das Vieh seines Herrn Peter Combaut hütete, angegriffen hatte. Doch als Grenier, der wie Jacques Rollet »einigermaßen stumpfsinnig« war und zudem über eine ausgeprägte »Hundephysiognomie« verfügte, in der Haft zu dem Vorfall befragt wurde, berichtete er dem fassungslosen Richter voller Stolz, daß er das Mädchen gefressen hätte, wenn es Marguerite Poirier nicht gelungen wäre, ihn mit dem Hirtenstab zu vertreiben. Außerdem erklärte er, daß er von einem Mann mit dem Namen Pierre Labourant im Tausch gegen seine Seele ein Wolfsfell und eine magische Salbe bekommen hätte, die es ihm ermöglichten, sich in einen Wolf zu verwandeln. Grenier gab an, den Zauber bereits nach wenigen Tagen beherrscht und danach in Wolfsgestalt fünf Kinder gerissen zu haben, die sich allein auf den Feldern aufhielten. Bestätigt wird dies durch die Aussage von Marguerite Poirier, die behauptete, daß Gre-nier, als er sie angriff, auf alle Viere niedergesunken und »dünn und knochig« geworden sei. Seine Zähne hätten zwischen seinen Lippen hervorgeragt, und sein Gesicht wäre »lang und haarig« gewesen. Alles in allem, so das Mädchen, sah Grenier aus wie ein großer Wolf.
    Gestützt wurden ihre Worte von den Eltern eines der Opfer, die behaupteten, ihr Kind sei von einem Werwolf geholt worden. Aber wie bei Jacques Rollet ließ der Richter Gnade vor Recht ergehen und verzichtete darauf, Grenier wegen Mordes zum Tode auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen. Statt dessen wurde Grenier mit der Drohung, sofort hingerichtet zu werden, sollte er versuchen zu flüchten, in einem Kloster in Bordeaux untergebracht, um den Mönchen für den Rest seines Lebens zu Diensten zu sein.
    Als Pierre de Lancre den »Werwolf« 1610 besuchte, verriet Grenier ihm, daß er noch immer große Lust verspüren würde, das Fleisch von Kindern zu essen, besonders das von jungen Mädchen, das ein »wahrer Leckerbissen« sei. Noch im selben Jahr starb Grenier, der sich trotz seines offensichtlichen Hangs zum Kannibalismus für seine Taten schämte und angeblich niemandem in die Augen zu sehen wagte, unter der Obhut der Klosterbrüder.
    Bei genauerer Betrachtung fällt auf, daß die Geschichte, die Jean Grenier bei seiner Vernehmung erzählte, große Ähnlichkeit mit dem Fall des Jacques Rollet aufweist, der ebenfalls angab, sich mit Hilfe einer bestimmten Salbe in einen Wolf verwandeln zu können. Doch obgleich die Fälle sich beide in Frankreich ereigneten und zeitlich nur wenige Jahre auseinanderlagen, ist es unwahrscheinlich, daß Grenier Rollets Aussage »plagiierte«. Vielmehr gehört jene mysteriöse Salbe, die wahlweise aus Eisenkraut oder Binsen besteht, dem Volksglauben nach seit jeher zu den Utensilien, mittels derer man seine Menschlichkeit ablegen und die Gestalt eines Wolfes annehmen kann. Dieselbe Wirkung sollen ein Ring aus - vorzugsweise von einem Selbstmörder oder Ermordeten stammender - Menschenhaut, durch welchen man dreimal kriechen muß, sowie ein Gürtel oder ein Wolfsfell besitzen, das man sich überwirft, um die Metamorphose einzuleiten.
    Vorwiegend in den skandinavischen Ländern glaubte man außerdem, daß gewisse Umstände bei der Geburt den »Werwolfkeim« in das Baby pflanzen würden. Wenn beispielsweise eine Schwangere durch die Eihülle eines Fohlens kroch, empfand sie beim Gebären zwar keinerlei Schmerz, nahm dafür aber in Kauf, daß sich das Kind, sobald es erwachsen wurde, fast jede Nacht in einen Werwolf verwandelte, um über schwangere Frauen herzufallen. Die Vorstellung, daß ein Lykanthrop seine Krankheit - denn als solche wird Ly-kanthropie allgemein betrachtet - ähnlich einem Vampir durch eine Wunde, die er einem Menschen zufügt, an sein Opfer weitergibt, stammt
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