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Die Zeit der Hundert Königreiche - 4

Die Zeit der Hundert Königreiche - 4

Titel: Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Kriegerschnur umwickelt, betrachtete Bard sich im Spiegel. Er sah wie der gleiche Mann aus, aber er war immer noch ein Fremder in seiner eigenen Haut und wußte nicht, was er als nächstes tun würde. Paul hatte, ohne es zu wissen, das Richtige getan - obwohl er nicht damit gerechnet hatte. Er hatte gefürchtet, Paul werde versuchen, die Täuschung aufrechtzuerhalten, und dann hätte er keine andere Wahl gehabt, als ihn töten zu lassen. Nein. Ich hätte ihn nicht töten lassen. Ich habe bereits zu viele Menschen vernichtet. Vielleicht hätte ich ihn im Zorn eigenhändig niedergestochen, aber ich könnte nie kaltblütig dastehen und den Befehl geben, ihn zu töten. Er ist jetzt zu sehr ein Teil meiner selbst. Und es ist gut ausgegangen, denn ich bin frei von Melisandra. Aber das Gesetz band ihn immer noch an Carlina, und wenn sie den Schutz dieser Ehe brauchte - wenn er sie zum Beispiel, was alle Götter verhüten mochten, geschwängert hatte -, dann konnte er ihr die Stellung der Königin nicht mehr verweigern, ohne unehrenhaft zu handeln. Sein ganzes Herz schrie nach Melora. Doch obwohl er wußte, er würde sie lieben, solange er lebte, konnte er nicht zu ihr kommen, indem er Carlina in den Staub trat oder ihr Recht auf ihn mißachtete.
Sei vorsichtig, um was du die Götter anflehst; sie könnten dich erhören. Und er dachte daran, wie Melora in jener schicksalhaften, lange zurückliegenden Festnacht gesagt hatte, sie wolle Carlina nicht auf den Saum ihres Gewandes treten.
Wenn ich damals nur genug Verstand gehabt hätte, um zu Carlina zu gehen und ihr die Freiheit von einer Ehe anzubieten, die wir beide nicht wollten … Aber nicht einmal ein Gott kann die Blätter zurückbringen, die abgefallen sind. Er hatte das Netz gewoben, in dem er mit Carlina verstrickt war, und falls es nicht auf ehrenvolle Weise gelöst werden konnte, mußte er in seinen Schlingen leben.
Es kam ihm vor, obwohl er sich so gerade aufrichtete, wie er konnte, als beuge sich der Mann im Spiegel unter einer schweren Last. Ja, dies Land Asturias, das er nicht regieren wollte, lag nun auf seinen Schultern. Oh, mein Bruder! Ich hätte soviel lieber den Befehl Über deine Armee als deine Krone gehabt! Aber der Wein war eingegossen worden und mußte getrunken werden. Er wandte sich vom Spiegel ab, biß die Zähne zusammen und straffte die Schultern. Seine Armee hatte entschieden, der solle sie regieren, und so mußte er regieren. Ein Baldachin und ein Sessel anstelle eines Throns waren für ihn auf dem Rasen aufgebaut worden. Mit finsterer Ungläubigkeit sah Bard über die Reihen sich verbeugender Höflinge hin, über die Soldaten und Leibwächter, die schnell Haltung annahmen, als er an ihnen vorüberschritt. Diese Formalitäten waren ihm früher, wenn sie seinem Vater oder König Ardrin galten, nie aufgefallen. Er hatte sie einfach als selbstverständlich hingenommen. Es schoß ihm durch den Kopf, daß es ganz gut sei, wenn dies erste Mal ein Baldachin und ein Sessel den Thron vertraten. Er erinnerte sich, daß er am Fuß von Ardrins Thron gestolpert war, als ihm die rote Schnur verliehen wurde. »Sir, der Gesandte der Hasturs.«
Es war Varzil, der gesprochen hatte, und Bard, sowenig er vom Protokoll wußte, fiel ein, daß der Bewahrer eines der größeren Türme in gleichem Rang mit jedem König stand. Er winkte Varzil, sich dem Sessel, in dem er saß, zu nähern.
»Cousin, muß das eine hochoffizielle Angelegenheit sein?« »Nur, wenn du es wünschst.«
»Dann schick alle diese Leute weg und laß mich mit dem Gesandten in Frieden reden«, sagte Bard. Als er die Höflinge und alle anderen bis auf ein Mindestmaß an Leibwächtern entlassen hatte, war die Waffenstillstandsflagge König Carolins zu sehen und im Blau und Silber der Hasturs - Geremy Hastur.
Bard ging Geremy entgegen und begrüßte ihn mit der unter Verwandten üblichen Umarmung. Und bei der Berührung kam all die alte Zuneigung zurück. Ob er eines Tages auch Geremy wiederentdecken konnte?
Auch Geremy hat Laran, dachte Bard, er weiß Bescheid. Und als er Geremy ins Gesicht blickte, fand er dort - obwohl Geremy angespannt und besorgt aussah - das gleiche Verständnis, das er bei Melora gefunden hatte.
Er sagte (und merkte, daß seine Stimme zitterte unter einer Bewegung, die nicht zu empfinden er nicht mehr vortäuschen konnte): »Willkommen in Asturias, Cousin. Es ist ein trauriges Wiedersehen, und der Anlaß ist ein schwerer Verlust. Mein Vater und mein Bruder sind noch nicht zur
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