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Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Titel: Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Autoren: Adena Halpern
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ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe, und in dem die Eltern einer neunundzwanzigjährigen Frau, die unerwartet gestorben ist, Schiwa sitzen. Das Schiwasitzen ist die jüdische Form der Totenwache.
    Vor dem Haus steht ein Wasserbecken, in dem sich Menschen in schwarzen Kostümen und Anzügen die Hände waschen, ehe sie eintreten. Soweit ich mich von den Beerdigungen meiner Großeltern entsinne, soll das rituelle Händewaschen die Bestattung des Toten vom nächsten Teil der Feierlichkeiten trennen. Wenn die Trauergäste vom Friedhof kommen und sich die Hände waschen, lassen sie damit symbolisch ihren Schmerz hinter sich, denn von nun an sollen sie eine Woche lang die Angehörigen des Verstorbenen trösten, die Schiwa sitzen.
    An der Tür stehen gut einhundert Paar schwarze Schuhe aufgereiht. Es war bei uns zwar seit jeher Brauch, die Schuhe an der Tür abzustreifen, um die Fußböden zu schonen, doch heute ist das Ausziehen der Schuhe ein weiteres Ritual, das verhindern soll, dass die Gäste ihre Trauer ins Haus tragen, und zugleich ein symbolischer Trost für meine Eltern.
    Alle Spiegel bleiben sieben Tage lang mit Bettlaken verhüllt, damit die Trauernden, die Schiwa sitzen, ihr vom Gram gezeichnetes Spiegelbild nicht sehen. Ich verfolge, wie Patsy Kleinman, eine Freundin meiner Mutter, mit dem Lippenstift in der Hand eines der Bettlaken anhebt, worauf Mr. Kleinman sie in den Arm zwickt und ihr einen strafenden Blick zuwirft. Gut so, Mr. Kleinman.
    Im ganzen Haus drängen sich Menschen, teils Geschäftspartner meines Vaters, hauptsächlich jedoch Freunde von mir und meinen Eltern. Auf dem Tisch im Esszimmer ist ein Büffet aufgebaut – Sandwiches, Truthahn- und Rinderbrust, Schüsseln mit Coleslaw und Kartoffelsalat, Suppentöpfe und diverse Desserts. Während ich zusehe, wie sich die Anwesenden Häppchen auf ihre Teller legen, stellt jemand eine weitere Ladung Sandwiches vor mir auf den Tisch. Ich wende mich um. Es ist meine beste Freundin Penelope.
    »Ich glaube, das reicht vorerst«, sagt sie zu einer der Bedienungen. »Sehen Sie zu, dass niemand mit einem leeren Glas herumsteht«, fügt sie hinzu. »Alex würde bestimmt wollen, dass sich alle bis zur Besinnungslosigkeit besaufen.«
    Ich muss lachen. Wie Recht sie hat. Ich wünschte nur, ich könnte mir auch einen Drink genehmigen.
    Sie wird umringt von Menschen, die sich am Büffet bedienen und flüstern: »Gerade mal neunundzwanzig! Ein Jammer.« Pen spricht mit niemandem. Sie steht am Tisch und arrangiert unermüdlich die verbliebenen Häppchen auf den Tabletts neu, sobald sich jemand eines genommen hat. Typisch Pen, dafür zu sorgen, dass alles stets ordentlich und präsentabel aussieht.
    »Pen«, sage ich und lege ihr die Hand auf die Schulter. »Lass das doch, du machst mich ganz nervös. Hol dir meinetwegen einen Drink.«
    Sie lässt die Arme sinken. Hat sie mich gehört? Sie umklammert mit beiden Händen die Tischkante, als könnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Meine Hand liegt noch immer auf ihrer Schulter.
    »Alles okay bei dir?«, erkundigt sich Dana Stanbury.
    »Ja, ja«, erwidert Pen ruhig. »Ich brauche nur mal eine kurze Pause.«
    Ich folge ihr, als sie sich durch die Massen von Trauergästen schiebt und den Weg zu meinem alten Zimmer einschlägt. Sie schließt die Tür hinter sich.
    Wir lassen den Blick über meine Regale schweifen, über meine Puppensammlung. Zwischen den Puppen aus aller Welt steht ein einzelnes Foto, eines, das wir beide lieben. Es ist die Aufnahme aus dem Sommerlager, die ich auch oben im Himmel habe. Wir betrachten gemeinsam das Bild: Zwei breit lächelnde zehnjährige Mädchen, das eine klein und schmal, mit Rattenschwänzchen, das andere einen ganzen Kopf größer, stämmig, mit zotteligen Haaren, runder Brille und einem viel zu engen Camp-Wonderland-T-Shirt, unter dem sich dicke Fettwülste abzeichnen. Das größere Mädchen hat den Arm um seine Freundin gelegt und entblößt beim Lächeln nebst riesigen Zähnen eine ganze Menge Zahnfleisch.
    »Du dummes Huhn«, schnieft Pen. »Wie kann es sein, dass dein dicker Hintern der Kollision mit einem so kleinen Auto nicht gewachsen war?«
    »Ich wusste, dass du das sagen würdest.« Ich lache, und auch sie muss schmunzeln und setzt sich mit dem Bild in der Hand auf mein altes rosa Himmelbett.
    Plötzlich fängt sie doch zu weinen an.
    »Was soll ich nur ohne dich machen?«, flüstert sie halblaut. Sie gleitet zu Boden, vergräbt das Gesicht im weißen
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