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Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Titel: Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Autoren: Adena Halpern
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gemacht hätte? Hm. Keine Ahnung. Ich hätte vermutlich nicht so ein Theater um meine Zähne veranstaltet. Seit mir meine Großmutter auf dem Sterbebett aufgetragen hat, meine Zähne immer gut zu pflegen (damit ich nie »so ein verfluchtes künstliches Gebiss brauche«), habe ich mir nämlich fleißig dreimal täglich die Zähne geputzt – mit Zahnseide und allem Drum und Dran. Ich hätte mir alle Sehenswürdigkeiten angeschaut, die auf meiner Liste standen – die Pyramiden und die Sixtinische Kapelle und die Mona Lisa. Ich habe noch nicht einmal die Freiheitsglocke gesehen, dabei bin ich in Philadelphia aufgewachsen. Ich hätte bei meiner Klasse bleiben sollen, als wir in der Zehnten nach New York fuhren, aber nein, anstatt mir die Freiheitsstatue anzusehen, musste ich mich ja mit Penelope zu Bergdorfs davonschleichen. Ich hätte auf diese ganzen Anti-Aging-Gesichtsmasken verzichten können, und auf die Botox-Spritzen zweimal im Jahr. Und ich wäre weit weniger verschwenderisch mit der Sonnencreme umgegangen.
    Eigentlich sollte mich der Gedanke, dass mich meine Eltern und meine Freunde verloren haben, ja ziemlich belasten, aber hier oben betrachtet man alles sehr gelassen. Ich glaube zwar nicht, dass wir medikamentös ruhig gestellt wurden, aber genauso fühlt es sich an – als hätte man mir einen Tropf mit einem Beruhigungsmittel angelegt. Ich habe mich erkundigt, ob ich ein allerletztes Mal auf die Erde darf, um meinen Leutchen Bescheid zu geben, doch nein, ich kann nichts unternehmen. Ich höre von überall nur, wenn meine Eltern und Freunde einmal sterben und hierherkommen, werden sie ohnehin feststellen, dass sie sich den ganzen Kummer hätten sparen können. Ist das nicht unfair? Angeblich hat das Betrauern von toten Angehörigen rein gar nichts mit dem Himmel zu tun, sondern ist lediglich Teil eines Lernprozesses, den alle Menschen auf der Erde durchlaufen müssen. Wie fies ist das denn!? Meine Eltern weinen sich garantiert die Augen aus. Ich wünschte wirklich, ich könnte etwas unternehmen – ganz laut schreien, dass alles in Ordnung ist und es mir gut geht zum Beispiel. Ich vermisse sie jetzt schon, ehrlich. Ich war zwar ziemlich beschäftigt mit Sterben und In-den-Himmel-kommen, aber ich würde alles tun, um sicherzugehen, dass sie wissen, wie sehr ich sie liebe. Die Leute, die damals bei diesem schrecklichen Minenunglück ums Leben kamen, die hatten immerhin Gelegenheit, ihren Familien Briefe zu schreiben, ehe sie starben. Aber ich? Was ist mit mir? Das ist echt ungerecht! Na, wenigstens haben die Minenarbeiter und ihre Familien jetzt ihren Seelenfrieden.
    Wo ich eigentlich bin und was ich dort mache? Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so genau. Bin ich tot? Lebe ich? Bin ich in einer anderen Dimension gelandet?
    Ich bin erst vor ein paar Stunden angekommen und habe noch nicht so den Durchblick. Aber ich kann zumindest berichten, was bisher geschehen ist. Ich nehme mal an, dass ich das darf. Mir wurde jedenfalls nichts Gegenteiliges gesagt, und ich schätze mal, ich bin nicht das erste Plappermaul, das in den Himmel kommt.
    Also: Im Zusammenhang mit dem Sterben ist doch immer von diesem weißen Licht die Rede. Tja, dieses Licht ist das Himmelstor. Erst habe ich es noch für die Leuchtreklame über dem Eingang des Canter’s Deli gehalten, denn das hatte ich gerade angesteuert, als der Mini Cooper angerast kam. Aber das Licht war überall. Das Letzte, was ich auf der Erde erblickte, war also dieser Mini, und da hatte er mich auch schon erfasst und ich segelte über die Motorhaube, und dann sah ich das weiße Licht. Ich dachte an das kleinwüchsige Medium in Poltergeist , das ständig raunt: »Geh nicht ins Licht, Carol Ann!« Aber ich konnte gar nicht anders. Das Licht war überall. Ich blickte hinter mich, nach rechts, nach links, nach oben – überall dieses Licht. Muss ganz schön dämlich ausgesehen haben, wie ich panisch hierhin und dorthin gerast bin, um ihm zu entkommen. Eigentlich kam es mir eher wie die Tornado-Szene im Zauberer von Oz vor, nur ohne Tornado natürlich. Dafür war Peaches bei mir und spielte den Part von Toto dem Hund. Ich glaube, in diesem Moment setzte die Gelassenheit ein – als ich feststellte, dass Peaches bei mir war und es kein Entkommen vor dem Licht gab.
    Man darf sich dieses Licht übrigens nicht grell vorstellen, nicht so, als käme man tagsüber aus einer Kinovorstellung und müsste die Augen zusammenkneifen. Es ist sehr beruhigend, wie in einem dieser
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