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Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)

Titel: Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Autoren: Adena Halpern
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eingeschärft hast, meine Zähne zu pflegen? Ich habe sie jeden Tag geputzt, sogar mit Zahnseide, und ich habe keine einzige Füllung, siehst du?« Ich entblöße mein makelloses Gebiss.
    »Wann soll ich das gesagt haben?«
    »Bevor du gestorben bist. Das war der großmütterliche Rat, den du mir mit auf den Weg gegeben hast.«
    »Warum sollte ich dir wohl auf dem Sterbebett einschärfen, dass du deine Zähne pflegst?« Sie lacht.
    »Hast du aber. ›Du musst dir immer fleißig die Zähne putzen‹, das war das Letzte, was du zu mir gesagt hast.«
    »Hm, da war ich wohl schon ganz schön weggetreten«, sagt sie. »Nun, ich schätze, es gibt schlechtere Ratschläge.«
    Es wurmt mich ein bisschen, dass sie die Anstrengungen, die ich unternommen habe, um die Erinnerung an sie aufrecht zu erhalten, als derart unwichtig abtut.
    Ich lege die Stirn in Falten. »Und was ist mit meinen Träumen? Ich habe so oft von euch geträumt. Habt ihr mich wirklich im Traum besucht?«
    Meine Großeltern lächeln mich an.
    »Natürlich.« Meine Großmutter schmunzelt ihren Mann und ihren Bruder an, und die beiden schmunzeln zurück. Sie sind mir also tatsächlich im Traum erschienen. Sie müssen mir unbedingt beibringen, wie das funktioniert. Ich muss dringend meine Eltern besuchen. Aber ich komme nicht dazu, sie danach zu fragen, denn Grandmom schiebt mich in die Arme meines Onkels.
    Onkel Morris ist der Bruder meiner Großmutter. Er war ihr bester Freund und hat nie geheiratet, weil er das Gefühl hatte, er müsste für meine Großmutter und ihre Schwestern sorgen, nachdem meine Urgroßeltern gestorben waren.
    »Weißt du eigentlich, dass ich ganz oft an dich denken musste?«, frage ich ihn und drücke ihn an mich, wobei mir der vertraute Duft nach Zigarren und Pfefferminzbonbons in die Nase steigt.
    »Natürlich weiß ich das.« Er schließt mich in die Arme. »Ich habe mich deinetwegen sogar rasiert. Weißt du noch, wie du dich als kleines Mädchen geweigert hast, mich zu umarmen, weil meine Bartstoppeln so kratzten?«
    Und wie ich mich erinnere. Wie sollte ich das je vergessen? Nicht zu fassen, Onkel Morris hat sich extra für mich rasiert!
    »Ich habe bei jedem Pfefferminzbonbon, das ich gelutscht habe, an dich gedacht«, rufe ich.
    Ich bin total aufgekratzt vor Freude, aber das fällt nicht weiter auf, weil alle um mich herum ebenfalls zum ersten Mal ihre Familien wiedersehen und genauso aufgekratzt sind. In einiger Entfernung fällt Mrs. Braunstein gerade weinend und kreischend ihren Eltern um den Hals. Sie gebärdet sich wie ein fünfjähriges Mädchen, das sich auf dem Jahrmarkt verlaufen und endlich Mutter und Vater wiedergefunden hat.
    Mein Großvater drückt mich an sich, und Grandmom zupft mir das Top zurecht, das mir wieder über die Schulter gerutscht ist, und so verlassen wir das »Haus der Glückseligkeit«. Ich finde es schön, wenn meine Großmutter das Top hochzieht. Ich finde es schön, sie wieder um mich zu haben, damit sie an meinen Klamotten zupfen kann, bis sie so sitzen, wie es sich ihrer Ansicht nach gehört, oder mir mit etwas Speichel einen Karamellfleck von der Wange rubbeln kann (ähem, ich geb’s zu, ich habe mir vorhin einen Löffel von Mrs. Braunsteins Eisbecher genehmigt). Es sind doch immer diese kleinen, scheinbar selbstverständlichen Gesten, die uns dann am meisten fehlen.
    Nun bin ich zwar nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern ein Geist, aber ich fühle mich komischerweise trotzdem wie ein ganz normaler Mensch. Wir sind keine Geister. Wir können nicht einfach durch andere hindurchgreifen, wie man das aus Kinofilmen kennt. Mein Großvater fühlt sich warm und real an. Als ich das Gesicht an sein Revers schmiege, stelle ich fest, dass er genauso riecht wie in meiner Erinnerung, nach Old Spice und Pomade. Die Spucke meiner Großmutter fühlt sich an wie Spucke. Wie kommt es, dass wir alle so lebendig und echt wirken, obwohl wir tot sind? Und warum weiß das auf der Erde niemand, obwohl man sehr wohl von den Engeln und dem Himmelstor weiß? Wer hat diese Details ausgeplaudert? All das geht mir durch den Kopf, während wir uns in das alte zitronengelbe Cadillac Coupe de Ville meiner Großmutter zwängen, von dessen Antenne noch immer dieselbe schmutzige Plastikblume baumelt. (»Damit ich mein Auto auf dem Parkplatz leichter finde«, erklärte sie mir, als ich klein war.)
    »Warum fährst du noch immer denselben Wagen?«, erkundige ich mich und setze mich zu Onkel Morris auf den Rücksitz.
    »Der
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