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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dem Allwissenden Schöpfer. Ich weiß, daß du das kannst. Ich habe gehört, wie du es getan hast. Du gehst in ein Haus aus Stein, und ich kann dich hören und sehe, daß dein Licht aufschimmert wie die rosige Morgendämmerung.«
    Natürlich ergab der Traum keinen rechten Sinn, ergab aber dennoch sehr viel Sinn, denn schließlich hatte ich gesehen, was man in dem Becken fortgetragen hatte: eine wabbelige Fleischmasse wie Leber und Gallert, aber ganz und gar kein Kindchen. Als ich das sah, war mir sofort klar, daß ich mein Kind nur geträumt hatte und daß es sich nie bewegt und auch keine Seele gehabt hatte, die vom Himmel herabgeflogen wäre, um darin zu wohnen, wie es den Priestern zufolge geschieht. Und doch hatte mein Herz es so sehnlich erträumt, und dieser Traum war genauso eindringlich gewesen wie der von der Wasserfrau, die sich nächtens mit mir unterhielt und wirklich und unwirklich zugleich war. Denn sie hatte mein Traumkind behalten, das so seelen- und alterslos war wie sie. Mein eigen und jetzt ihr eigen.
    Und weil alles nur ein Traum war, fragte ich die Wasserfrau, statt zu jammern und zu wehklagen, was ich für sie tun könne, und sie sagte, sie mache sich schreckliche Sorgen um ihr schönes grünes Haus und ihre singende Quelle und ihre seufzenden Eiben und Eichen, in denen Raben und freche Eichhörnchen hausten. Sie erklärte mir, daß sie in den Bäumen sei und daß sie, falls man die abhackte, auch sterben müsse, weil sie abgesehen von ihrem grünen und wachsenden Leib keine Seele habe. Sie sagte, es sei gar nicht so furchtbar heidnisch, sich um ihr Anliegen zu kümmern, eher wie eine Gebet für Kranke, was doch allen guten Christen aufgetragen sei. Ich war mir da nicht so sicher, denn einst war ich der Inquisition wegen Heilens ohne ordentliche Zeugnisse aufgefallen, und ich erklärte ihr, welche Ängste ich dabei ausgestanden und daß man, mich fast bei lebendigem Leib verbrannt hätte, wenn ich nicht widerrufen hätte.
    »Du mußt sie auf deine Seite bringen«, sagte ich. »Wie wäre es, wenn du dir einen christlichen Namen zulegtest?«
    »Ich meinen Namen ändern? Das ist eine Beleidigung! Ich habe doch gar keinen! Weißt du, wie alt ich bin? Ich wurde geschaffen, gleich nachdem das Licht von der Finsternis geschieden wurde. Ich bin älter als alle Namen. Und komm mir bloß nicht mit ›Edburga‹. Das ist der häßlichste Name überhaupt. Du hättest die heilige Edburga sehen sollen! Eine bösartige alte Frau, die alle Menschen mit Geschichten vom Fegefeuer eingeschüchtert hat. Ganz und gar nicht mein Fall.«
    »Wie wäre es mit ›Marienquell‹? fragte ich und gab mir Mühe, so bescheiden wie nur möglich zu sprechen. Wind und Wasser, Sterne und Meer – die Elemente sollte man niemals gegen sich aufbringen.«
    »Der Teil mit ›Quell‹ ist gut, denn das bin ich wirklich. Aber wer ist diese Marie?«
    »Maria, die Himmelskönigin. Viel höher kannst du nicht greifen«, sagte ich.
    »Marienquell, Marienquell«, sagte der Wassergeist und wirbelte die Worte wie leuchtende Flüssigkeit in seinem Leib. »Gar nicht so übel. Vielleicht hilft die mir ja mit meinen Bäumen und meinen Singvögeln und meinen schönen dunklen Aalen und glänzenden Fischen.«
    Als ich morgens aufwachte, lugte die Sonne bereits durch die tief eingelassenen schmalen Söllerfenster. Die Laken waren zum Auswringen naß und mein Haar vollkommen feucht. Alles war schon auf den Beinen, und draußen auf dem Hof konnte ich den Hufschmied hören, der Pferde beschlug. In panischer Angst tastete ich nach der Stelle, wo Peregrine gelegen hatte, aber er war nicht mehr da. Doch ich hörte ein ›Wuff, Wuff, Wuff‹ und spähte über die Bettkante, und da kroch Peregrine auf allen vieren zwischen den Welpen herum und bellte wie ein Hund. »Guck, Mama«, rief er. »Ich zeig ihnen, wie man bellt!« Auf der Bank saß eine aufgeweckt und tüchtig aussehende junge Frau aus dem Dorf mit großer Schürze und Holzpantinen. Sie spann und lächelte mich an.
    »Oh«, sagte sie. »Wie schön, daß Ihr endlich aufgewacht seid. Ihr habt in der Nacht so schrecklich gefiebert, daß wir Euch fast aufgegeben haben.«
    »Ich – ich habe einen wundersamen Traum gehabt. Der Weiher muß in ›Marienquell‹ umgetauft werden.«
    »›Marienquell‹?« sagte die junge Frau. »Ei, das ist aber ein schöner Name. Gewiß kann es uns allen nur zum Segen gereichen, wenn das heidnische Wasser Marienquell genannt wird. Mit einem solchen Namen kehrt auch der
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