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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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Unsicherheit einem Entsetzen und schließlich dem ungläubigen Verständnis gewichen sein. Du warst kein Blut von meinem Blute, kein Fleisch von meinem Fleische, Alexej. So konnte ich doch ruhig schlafen. Wie sagte mein Vater in seiner schlichten Bauernweisheit der Seelen immer? »Tränen anderer Leute sind nur Wasser.«
    Peter jedoch schlief nie wieder ohne den Alb, der ihm drückend auf der Brust saß: Die Folterknechte und Henker um Alexej schworen, seine Seele sei ihm in Form einer Krähe aus dem Mund gefahren. Seitdem blies Peter in seinem ganzen weiten Reich zur Jagd auf die schwarzen Vögel – sie wurden von den Bauern gegen eine Belohnung gefangen, getötet, gerupft und gebraten. Es nützte dem Zaren nichts. Der Vogel glitt still durch die Wände und die verriegelten Türen des Schlafgemaches, er kam in jeder Nacht und verdunkelte mit seinen Schwingen aus Ebenholz das Licht seiner Träume. In dem kühlen Schatten seines Fluges sollte das Blut an Peters Händen nie trocknen.
     
    Ich sah Feofan Prokopowitsch scheinbar gelassen an.
    Unter meiner leicht geschnürten Korsage jedoch schlug mein Herz heftig und unregelmäßig. Jetzt nicht ohnmächtig werden. Ich bewegte meine Zehen in den vor Stickerei und Edelsteinen steifen Pantoffeln. Jetzt stark sein. Eine Zarin. Die erste gekrönte Kaiserin von Rußland schließlich, was auch immer jetzt kommen mochte. Ich zog meinen silbernen Zobelpelz enger um meine Schultern und hielt mich sehr gerade. Dennoch bildete sich unter dem seidenen Stoff meines Kleides eine Gänsehaut auf meinen Armen.
    Prokopowitsch lächelte fein. Natürlich, den alten Fuchs konnte ich nicht täuschen. Er wußte um die Geheimnisse eines menschlichen Herzens. Um alle. Und vor allen Dingen um die meinen.
    Mit dem Kinn gab ich ihm ein Zeichen, die schwach gekritzelten Worte vorzulesen.
    Er neigte ein zweites Mal den Kopf und sah auf die letzten Worte meines Mannes. Dann hob er zu lesen an: »Gebt alles an …« Er stockte, sah uns an und wiederholte: »… an …«
    Menschikow fuhr auf, ganz so, als hätte man ihm wie in den guten alten Tagen eins mit der Peitsche übergezogen.
    »An wen?« fuhr er Prokopowitsch an. »Sag schon, Feofan Prokopowitsch, an wen?«
    Ich hielt mich zurück, konnte jedoch vor Spannung kaum atmen. Der Pelz lag nun plötzlich viel zu heiß auf meiner Haut.
    Feofan zuckte mit den Schultern. »Der Zar hat den Satz nicht mehr zu Ende geschrieben. Das ist alles.« Täuschte ich mich, oder war da ein zweites Lächeln auf seinem von Falten durchzogenen Gesicht? Er sah mich kurz an und senkte dann die Augen.
    Ich kehrte mit einem Schlag ins Leben zurück. Es war nichts bestimmt worden! Meine Gedanken überschlugen sich. Peter war tot, doch dies bedeutete nicht, daß ich mich in Sicherheit befand! Im Gegenteil.
    »Alles? Das soll alles sein?« wiederholte Menschikow und riß dem ehrwürdigen Erzbischof von Pskow das Papier aus der Hand. »Das kann doch nicht sein!« murmelte er und starrte sinnlos auf die Buchstaben.
    Prokopowitsch nahm ihm das Blatt ruhig wieder ab. »Du kannst es ja doch nicht lesen, Alexander Danilowitsch. Das hast du nun davon, daß du immer etwas Besseres zu tun hattest, als lesen zu lernen.«
    Menschikow setzte zu einer scharfen Antwort an, doch ich unterbrach den schwelenden Streit zwischen den beiden Männern rasch. Es gab jetzt fürwahr Wichtigeres zu tun. Jeder Augenblick zählte! Ich mußte rasch handeln, wollte ich nicht doch noch Jewdokijas Schicksal teilen, auf einen Schlitten nach Sibirien steigen oder, schlimmer noch, mit dem Gesicht nach unten zwischen den schweren Eisschollen auf der Newa treiben.
    »Feofan – willst du damit sagen, daß der Zar gestorben ist, ohne die Nachfolge zu bestimmen? Ohne den Erben des Russischen Reiches zu benennen?« versicherte ich mich kurz.
    Er nickte langsam und musterte mich mit unergründlicher Miene. Seine Augen waren von der langen Wache am Bett seines Herrn blutunterlaufen. Er trug nach Popenart sein dunkles Haar lang und ungepudert. Es war von grauen Strähnen durchzogen und hing glatt bis auf seine Schultern. Er trug an diesem Tag den schlichten, dunklen Kittel eines einfachen Geistlichen: Nichts an ihm verriet die Ehren und die Ämter, die Peter auf ihn gehäuft hatte. Nichts, außer dem schweren, mit Edelsteinen besetzten Kreuz aus Gold, das auf seiner Brust hing, der Panagia . Er war alt. Wie konnte ich das so leicht vergessen? Schon vor zwanzig Jahren, als er noch Erzbischof von Nowgorod war, schien er
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