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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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soeben gestorben. Was stand nun für ihn in den Sternen? Er war unberechenbar in Stunden des Leidens. Ich brauchte ihn jetzt so dringend. Ihn, den Geheimen Rat und die Truppen.
    So sah ich ihn schweigend an, bis er zu lachen aufhörte. Sein Gesicht war nun rot unter seinem struppigen, noch immer blonden Haarschopf, als er noch einen Schluck nahm und mich, wie mir schien, unsicher über den Rand des Glases ansah.
    »Und du, Menschikow?« fragte ich schließlich nur.
    Er schüttelte den Kopf, starrte einen Augenblick lang die Wand an und warf plötzlich mit Schwung sein Glas gegen die schwere Täfelung aus dunklem Holz. Es zersplitterte, und der Wein rann schwer und rot zu Boden. Dann sagte er: »Du hast recht. Eine Wäschemagd als Zarin, ein Pastetenbäcker als reichster und mächtigster Mann des Reiches!«
    »Nach dem Zaren«, erinnerte ich ihn sanft.
    Er sah mich mißmutig an und wiederholte langsam: »Selbstverständlich. Nach dem Zaren.«
    Der Blick, mit dem er in die Flammen sah, gefiel mir nicht. Er fing sich jedoch rasch. »Was für eine außergewöhnliche Zeit! Was für ein außergewöhnliches Leben, meine Fürstin! Man kann sich das nur mit göttlicher Vorsehung erklären!«
    Ich nickte, dachte aber bei mir: Außergewöhnlich? Ja, das sagt man wohl an den Höfen Europas. Das ist der Gedanke, der die Gesandten und die Schreiber schon jetzt bei Laune hält. Nur Peter fand immer das gewöhnlich, was gerade seinem Willen entsprach. Vollkommen gewöhnlich, der Aufstieg einer Seele zur Zariza von Rußland. Bei dem Gedanken, was nun kommen mochte, sammelte sich das Blut in meinen Gliedern. Es fühlte sich an, als seien tausend Ameisen in meinen Adern zugange.
    Ich, die Küchenmagd. Ich, das Hausmädchen. Ich, die Kriegsgefangene. Ich, die Wäscherin. Ich, die Lagerhure. Ich, die dicke Trinkerin, die sich zu stark schminkt. Ich, die Ehebrecherin!
    Aber bis zuletzt hatte er doch mir gehört. Und nun kann er nicht mehr sprechen! Alles, was von nun an gesagt wurde, stand in meiner Macht. Ich konnte frei sein. Der größte Wunsch aller Leibeigenen, der »Seelen«: Wolja, die vollkommene, wilde, große Freiheit. Mir nun zum Greifen nahe und doch noch schmerzlich weit entfernt.
    Nein, ich habe nie vergessen, wo ich herkam: Ich, die Zarin?
     
    Menschikow starrte noch immer die Wand an. Er hielt nun ein neues Glas in der Hand, das wieder bis zum Rand gefüllt war. Mit einem Mal glitt es ihm aus der Hand, und sein Kinn fiel auf seine Brust. Der Wein hinterließ einen großen, roten Fleck auf seinem weißen Spitzenhemd und der blauen Weste. Er war eingeschlafen. Einige Minuten Rast, ehe Tolstoi kam, wollte ich ihm noch zugestehen. Dann mußten wir handeln. Später sollte man ihn in seinen Palast tragen, wo er seinen Rausch ausschlafen konnte. Den Sankt-Andreas-Orden hatte er schon und dazu noch mehr Leibeigene und Titel, als ich sie ihm noch geben konnte: Es gab nichts, was ich ihm versprechen konnte. Doch er würde von selber bleiben. Nichts bindet stärker als die gute alte Angst ums Überleben, Katharina, schien Peter mir ins Ohr zu flüstern. Na also, es ging doch. Ich dachte schon wie eine Zarin.
    Ich trat an das Fenster, das auf den Hof des Winterpalastes hinausging. Die goldenen Ikonenbilder, die überall an den Saum meines Kleides genäht waren, klirrten leise mit jedem meiner Schritte. Als die kleine Prinzessin Wilhelmine von Preußen damals in Berlin meine Art, mich zu kleiden, sah, lachte sie laut auf: »Die Zariza von Rußland sieht aus wie eine Spielmannsbraut!«
    Ja, aber mein Mann liebte mich, Wilhelmine. Ich brachte ihn zum Lachen, und er vergrub seine Nase in alle Grübchen meines Körpers.
    Ich schob den abgefütterten Stoff vor dem Fenster beiseite, der die Kälte der Nacht von Sankt Petersburg – Unsere Stadt, Peter, erinnerst du dich? Unser Traum! – aus dem Palast fernhielt. Die Nacht, samten und schwarz, die dich nun auf ewig in ihren Armen hält, hüllte nun auch die Wasser der Newa und den Alexander-Newski-Prospekt in Dunkelheit. Diese Stadt, die du mit deinem schieren, ungeheuren Willen und unter hunderttausendfachem Leid deiner Untertanen, Adligen wie Seelen, aus dem sumpfigen Boden gestampft hast. Sie ist auf dem Leid, den Klagen und dem Tod der Zwangsarbeiter errichtet, die in der marschigen Erde begraben liegen. Doch wer erinnert sich ihrer angesichts dieser Pracht? Wenn es in Rußland eines im Überfluß gab, dann war es menschliches Leben. Der Morgen wird sich zuerst fahl und kühl, dann aber
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