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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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in blaß brennender Glut auf den hellen, ebenen Wänden der Palä ste spiegeln.
    Du hast das Licht hier gefangengehalten, Peter. Was soll nun mit ihm geschehen? Hilf mir doch!
    Hinter den Fenstern der hohen Häuser, deren ebene Fassaden damals, vor zwanzig Jahren, einen bis dahin unbekannten Anblick boten, brannten Kerzen. Es war ein ungeduldiges, furchtsames und forderndes Flackern. Ich beobachtete, wie ihr Schein, wie von Geisterhand getragen, unruhig durch die Gänge und Räume glitt.
    Draußen im Hof stand ein Posten über seinem Bajonett zusammengekrümmt. Seine Schultern zuckten – das konnte ich im flackernden Licht der Fackeln erkennen. Reiter stiegen auf Pferde und preschten zum Tor hinaus. Hatte Blumentrost sich an meinen Befehl gehalten? Oder eilten sie schon in die Welt hinaus, um das schier Unglaubliche zu verkünden? Ritten sie zu den Dolgorukis? Der russische Riese ist gefällt. Er ist tot. Menschlich, endlich geworden.
    Es hieß handeln. Ich eilte vom Fenster hin zur Tür, die von der kleinen Bibliothek auf den Gang führte. Hier standen weniger Menschen, genau wie ich es mir erhofft hatte. Der Soldat, der lässig an der Wandtäfelung lehnte, sprang in Achtung auf, als er mich sah.
    »Ruf’ mir den Grafen Peter Andrejewitsch Tolstoi. Außerdem den Grafen Apraxin, den Baron Ostermann und Pawel Jaguschinski. Spute dich, der Zar will sie sehen!«
    Ich achtete darauf, daß meine Stimme heiter klang und daß meine letzten Worte im langen Gang wohl gehört wurden. Ich sah dem davoneilenden Soldaten scheinbar frohgemut nach. Sobald sich die Menschen im Gang aus ihrer Verbeugung wieder aufrichteten, steckten sie die Köpfe zusammen.
    Erst als ich die Tür hinter mir schloß, überkam mein Elend mich wieder.
    Ich hatte Angst. Ja, Peter war zur rechten Zeit gestorben. Aber was kam nun? Wolja oder die Verbannung und der Tod?
    Ich hatte schon lange, sehr lange keine echte Furcht mehr verspürt, dessen wurde ich mir jetzt bewußt. Dieses echte, beißende Gefühl, das aus dem Magen einen Knoten formt, den Schweiß kalt und bitter fließen läßt, den Herzschlag verlangsamt und die Gedärme öffnet. Nein, nicht mehr seit … Halt!
    Jetzt nicht über diese Dinge nachdenken, wenn ich doch meinen Kopf freihalten mußte! In meinem ungeschulten Geist konnte ich nur eines auf einmal tun.
    Ich hörte leises Brabbeln hinter mir: Menschikow redete und weinte gleichzeitig in seinem Schlaf. Es war gut, jetzt mit ihm allein zu sein und ihn unter Aufsicht zu behalten. Ich würde ihn erst aus diesem Zimmer lassen, wenn die Entscheidung getroffen war. Wenn nur Tolstoi und der Rat bald kämen! Er folgte mir, und ihm folgten die Truppen. Wo war Peter Alexejewitsch, der kleine Prinz ohne Titel, aber mit allem Anspruch auf den Thron, den ich ihm nehmen wollte? Ich biß an einem Fingernagel.
    Die dunkle Stadt, die in unruhigem, von bösen Träumen unterbrochenem Schlummer draußen vor den Fenstern atmete, konnte mir keinen Rat geben.
    Ich setzte mich in einen breiten Lehnstuhl vor dem Feuer und schlüpfte aus meinen steifen, bestickten Pantoffeln. Jetzt konnte ich nur noch warten. Die Wärme kroch langsam durch meine Glieder in meinen Kopf. Der Februar war stets einer der kältesten Monate in Sankt Petersburg. Ich sollte mir heißen Wein und Brezeln bestellen, das hielte mich wach und gäbe mir einen schnellen, leichten Rausch. Hoffentlich war es Peter im Nebenzimmer nicht zu kalt. Wenn er eines nicht ausstehen konnte, so war das, zu frieren. Dabei haben wir viel gemeinsam gefroren, im Feld. Nur in der Nacht konnte ich dafür sorgen, daß ihm nie kalt wurde.
    Menschikow streckte seine langen Glieder langsam aus. Noch schnarchte er mit offenem Mund, aber bald mußte auch er erwachen.
    Ich schloß die Augen. Nun kamen die Tränen. Endlich. Echte, unverfälschte Tränen tiefster Verzweiflung und Trauer, trotz aller Erleichterung. Vor mir lagen noch ein langer Morgen und lange Wochen. Für diese Zeit benötigte ich viele Tränen, denn das Volk und der Hof wünschen sich eine trauernde Zariza mit zerrauftem Haar, gebrochener Stimme und mit verquollenen Augen. Meine Trauer und meine Liebe allein gaben mir das Recht, das Unerhörte zu tun. Dagegen konnten selbst die Dolgorukis nur schwer ankommen. So konnte ich ebensogut schon beginnen zu weinen. Viele Tränen über mein wunderliches Leben. Also weine, Bauerndirne, Magd, Hure – weine, Zarin aller Russen! Niemand wird dich hören, in dieser einen Nacht!
     

1. Kapitel
     
     
    Mein Leben
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