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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)
Autoren: Rudolf Taschner
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der für die Zahl 10 steht.
    Noch im Mittelalter schrieb man in unseren Breiten alle Zahlen nur in römischen Zahlzeichen. Borgte sich ein Bürger von einem anderen einen bestimmten Betrag Geld, ritzte man die Anzahl der verliehenen Gulden in ein kleines Brett, das man das Kerbholz nannte. Das Wort „Zahl“ selbst hieß im Althochdeutschen dal. Das englische Wort tell, welches nicht nur „er zähl en“ bedeutet, sondern früher auch „zählen“ bedeutete, ist damit verwandt. Das althochdeutsche dal ist sprachverwandt mit dem Wort Delle, denn damals verbanden die Menschen Zahlen mit dem Bild von Kerben, die in Hölzer geritzt wurden und Geldbeträge symbolisierten. Und zuweilen behauptete ein Schuldner, er sei seinem Gläubiger nur fünf Gulden schuldig, obwohl die Zahl zehn auf dem Kerbholz eingeritzt sei. Der Gläubiger habe ihm „ein X für ein U vorgemacht“, also die Striche des Zahlzeichens V nach unten zu einem X verlängert. Diese Redeweise ist uns bis heute erhalten geblieben.
    Das römische Zahlzeichen für 100 lautet C. Denn centum ist das lateinische Wort für „hundert“. Und wenn man nur die untere Hälfte dieses Buchstabens ritzt, verbleibt ein Symbol, das dem Buchstaben L ähnelt, darum steht L als römisches Zahlzeichen für die Hälfte von 100, also für 50. Das römische Zahlzeichen für 1000 lautet M. Denn mille ist das lateinische Wort für „tausend“. Doch in den Anfängen der römischen Geschichte schrieben die Römer statt des M den griechischen Buchstaben Φ , phi. Sie notierten ihn, indem sie direkt an ein C ein I setzten und gleich danach ein gespiegelt geschriebenes C, also CI. Wenn man dies zu einem einzigen Symbol verbindet, erhält man CI, ein stilisiertes M. Und als rechte Hälfte davon bleibt Iübrig, ein Zeichen, das an den Buchstaben D erinnert. Darum ist D die römische Abkürzung für 500.
    So weit sind die römischen Zahlzeichen uns allen bekannt. Wie aber zählten die Römer über 4999, das sie noch mühselig als MMMMDCCCCLXXXXVIIII notieren konnten, hinaus? (Dass man statt IIII einfacher IV, statt VIIII einfacher IX, statt XXXX einfacher XL, statt LXXXX einfacher XC, statt CCCC einfacher CD und statt DCCCC einfacher CM schrieb, die Zahl 4999 also als MMMMCMXCIX – immer noch umständlich genug – abkürzte, hat sich erst relativ spät eingebürgert.) Und wie konnte ein römischer Finanzminister Zehntausende, gar Hunderttausende von Sesterzen in seiner Buchhaltung notieren?
    Eine Lösung bestand darin, dass man die Zeichen C, die für die Darstellung von 500 und 1000 dienten, einfach öfter schrieb: Steht Ifür fünfhundert, so bezeichnen die Symbole Iund Idie Zahlen fünftausend und fünfzigtausend. Und steht CIfür tausend, so bezeichnen die Symbole CCIund CCCIdie Zahlen zehntausend und hunderttausend.
    Doch all dieserFinessen zum Trotz: Mühsam war das Schreiben von Zahlen mit römischen Zeichen allemal. Noch mühsamer aber war das Rechnen mit diesen Zeichen. Addieren und Subtrahieren mit römischen Zahlzeichen mag ja noch angehen. Wobei die Römer ein Rechengerät, den Abakus, zur Verfügung hatten, der ihrer Zahlenschreibweise entgegenkam. Aber das Multiplizieren ist mit römischen Zahlzeichen kein einfaches Unterfangen: Wie kann man ermitteln, was LVII, also 57, mit LXXV, also mit 75, multipliziert ergibt? 2 Das Dividieren mit römischen Zahlzeichen gar war eine wahre Kunst. Sie wurde an den besten Universitäten des Mittelalters gelehrt.
    Selbst die wenigen Menschen höheren Standes, die im Mittelalter lesen und schreiben lernten und denen die römischen Zahlzeichen bekannt waren, konnten wohl nur Zahlen addieren und subtrahieren. Das Multiplizieren und das Dividieren waren ihnen sicher unzugänglich. Es gab aber eine eigene Gilde auserlesener Gelehrter, sogenannter Cossisten, die in den Städten als Rechenmeister angestellt waren, um gegen Bezahlung für die Stadtverwaltung, für die Gewerbetreibenden und für die Kaufleute zu rechnen. Oft galt es, Multiplikationen und Divisionen auszuführen. „Che cosa?“, fragte damals die steinreiche Philippine Welser den Rechenmeister, „was ist das Ergebnis“? Sie ruft ihn einen „Cossisten“ und entlohnt ihn dafür fürstlich, denn er berechnet, was „cosa“, was „Sache“ ist.

Mit Mathematik beginnt die Aufklärung
    Nach 1550 verdarb einer der klügsten unter den Rechenmeistern nördlich der Alpen, der aus Staffelstein bei Bamberg stammende Gelehrte Adam Ries, den Kollegen seiner Zunft ihr
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