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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)
Autoren: Rudolf Taschner
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zu befreien und von seinem Schmerz über die verlorene Frau abzulenken.
    Als der weise Mann in das Gemach des Maharadschas trat, trug er ein quadratisches Brett mit sich, das in acht mal acht quadratische Felder, abwechselnd schwarz und weiß gefärbt, unterteilt war: ein Schachbrett. Vor den tränenüberströmten Augen des Maharadschas, der ihm gegenübersaß, legte er das Brett auf den Tisch und stellte eigenartige Holzfiguren auf die Felder: acht sogenannte Bauern auf der vorletzten Reihe und auf der letzten Reihe von außen nach innen je zwei Türme, zwei Springer und zwei Läufer. Ganz im Inneren der letzten Reihe einen König, das Abbild eines Maharadschas, und eine Dame, das Abbild seiner Frau. Die Figuren, die der weise Mann auf seiner Seite des Brettes aufstellte, waren schwarz, und dann stellte er die gleichen Figuren in Weiß in der gleichen Formation auf der Seite des Maharadschas auf. Der weise Mann erklärte wie in einem Selbstgespräch – der Maharadscha blickte scheinbar teilnahmslos zu, aber der weise Mann wusste sehr gut, dass er seine Worte genau hörte –, wie die einzelnen Figuren gezogen werden: die Türme zum Beispiel nur waagerecht und senkrecht, die Läufer nur schräg, der König majestätisch, aber schwerfällig, immer nur ein Feld weiter, die Dame jedoch – der Maharadscha horchte merkbar auf –, die Dame istdie mächtigste Figur: Sowohl waagerecht, wie auch senkrecht, wie auch schräg darf sie sich in alle Richtungen beliebig weit bewegen. Auch erläuterte der weise Mann die Bewegungen der Bauern und der Springer, wie Figuren geschlagen werden und was „Schach“ und „Schachmatt“ bedeuten.
    „Wollen wir vielleicht eine Partie versuchen?“, fragte dann der weise Mann charmant, und nach so viel Bemühungen um die Vorbereitung konnte der Maharadscha ihm diese Bitte nicht abschlagen. Also nickte er und begann mit dem ersten Zug. Unter der einfühlsamen Anleitung des weisen Mannes gelang es dem Maharadscha sogar, die Partie zu gewinnen. „Nun aber verlange ich Revanche“, sagte der weise Mann, als er Schachmatt gesetzt wurde. Und in der zweiten Partie unterlag der Maharadscha. „Nun verlange ich Revanche“, forderte darauf dieser, und der weise Mann willigte ein, aber erst für den Morgen des nächsten Tages. Für heute sei es genug, es gelte, die Tagesgeschäfte des Regierens zu erledigen.
    Tatsächlich gelang es dem weisen Mann, den Maharadscha von seiner Trauer abzulenken. Wie früher wurde das Land wieder klug und gerecht regiert, der Wohlstand des Bevölkerung kehrte zurück, die Ernten waren wieder üppig und die Reislager überfüllt. Jeden Morgen spielten der Maharadscha und der weise Mann zwei Partien Schach, wobei sich der Maharadscha mit der Zeit zu einem begnadeten Schachspieler entwickelte. Und danach widmete sich der Maharadscha seinen Regierungsgeschäften und der weise Mann seinen Meditationen.
    So ging es über Wochen und Monate, bis der weise Mann eines Tages dem Maharadscha eröffnete, dass er seine Aufgabe in diesem Land als erfüllt betrachte und wieder in die hohen Berge zurückkehren wolle. „Aber ich kann dich nicht ohne Lohn ziehen lassen“, entgegnete ihm der Maharadscha, „wünsche dir, soviel du willst, ich werde es dir geben. Denn im Vergleich zu meiner Trauer, von der du mich erlöst hast, kannst du dir gar nicht zu viel wünschen.“
    „Unermesslich viel soll ich mir wünschen?“, fragte der weise Mann. Als der Maharadscha mit heftigem Nicken bejahte, nahm der weise Mann ein Reiskorn und legte es auf das erste Feld links oben auf das Schachbrett. „Nun gib auf das jeweils nächste Feld doppelt so viel Reis wie auf das vorige, und den ganzen Reis, der sich auf dem Schachbrett stapelt, den magst du mir geben.“
    „So wenig!“, empörte sich der Maharadscha, beruhigte sich aber gleich, weil ihm in den Sinn kam, dass der weise Mann zeit seines Lebens fast nichts besessen hatte und eine Schüssel Reis für ihn ein Vermögen bedeutete. Ein Diener wurde gerufen, er solle einen Löffel Reis bringen und die Körner nach der Regel auf die Felder legen, dass er links oben mit einem Korn beginnt und danach auf jedes folgende Feld doppelt so viel geben soll wie auf das vorherige. Also begann der Diener den Reis auf die oberste Reihe der ersten acht Felder aufzuteilen:
    1,   2,   4,   8,   16,   32,   64,   128
    Körner. Nachdem der Diener die 128 Körner abgezählt hatte – insgesamt wurden bisher 255 Körner verteilt –,
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