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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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beschwingten Schrittes das Haus verließ und die Klostergasse entlanglief.
    Dann aber, er hatte die Barfüßergasse beinahe schon erreicht, blieb er wie angewurzelt stehen, drehte sich um und rannte zurück, dass die Kutte hinter ihm herflog wie Vogelschwingen.
    «Priska!», rief er schon von draußen. «Priska!»
    Sie öffnete lächelnd. Atemlos stand er vor ihr, strahlte aber über das ganze Gesicht.
    Er keuchte, rang nach Worten, doch sie wusste, was er sie fragen wollte.
    «Sie ist in Zuckelhausen, lebt dort bei einer alten Frau. Jeder kennt sie inzwischen. Ihr werdet sie leicht finden.»
    Und der Priester lachte, nahm Priskas Gesicht in seine beiden Hände und küsste sie schallend auf den Mund.
    «Danke!», sagte er. «Danke! Ihr seid wahrhaft eine Heilerin.»
    Und schon rannte er wieder davon, drehte sich noch einmal um und rief so laut, dass es in der ganzen Gasse widerhallte: «Eine Wunderheilerin seid Ihr, Priska Kopper! Gott schütze Euch!», und schon war er um die Ecke gesaust.
    Adam kam, angelockt von dem Lärm, aus seinem Laboratorium gekrochen.
    «Was war los?», fragte er.
    «Johann geht zu Eva», erzählte sie. «Er legt die Kutte ab, geht zu Eva, nicht als Priester, sondern als liebender Mann und lutherischer Prediger.»
    Hatte sie erwartet, dass Adam in Jubel ausbrach? Ja, das hatte sie. Doch er nickte nur, brachte noch nicht einmal ein Lächeln zustande.
    «Gut», sagte er. «So soll es sein.»
    «Ist das alles?», fragte Priska. «Alles, was du dazu zu sagen hast?»
    «Was gibt es da groß Worte zu verlieren?», fragte er verständnislos.
    Priska breitete die Arme aus und drehte sich einmal mit fliegenden Röcken um sich selbst. «Die neue Zeit, Adam. Jetzt hat sie auch unsere Familie erreicht. Sie ist gut, diese neue Zeit. Eva, glaub mir, wird glücklich werden. Und mit ihr noch viele, viele andere.»
    «Hmm», machte Adam, wollte zurück in seinen Keller.
    «Freust du dich nicht?»
    «Ich freue mich für Eva. Es ist schön, dass sie nun endlichdas Leben leben kann, das sie sich gewünscht hat. Schließlich hat sie einen hohen Preis dafür bezahlt.» Seine Stimme klang ganz gleichmütig, sein Gesicht blieb unbewegt.
    Priska ließ enttäuscht die Arme sinken. «Ist dir denn alles gleichgültig?», fragte sie leise.
    Adam hob die Schultern. «Das Leben, Priska, ist zu schwer für mich. Jeden Tag spüre ich es wieder. Jeden Morgen muss ich mich zwingen, das Bett zu verlassen und mein Tagwerk zu vollbringen. Ich sehne die Stunde herbei, die mir die Erlösung bringt.»
    «Und die Arznei gegen die Franzosenkrankheit? Deine Kranken? Die Wissenschaft?»
    «Es gibt bessere Ärzte als mich. Jüngere, klügere. Ich werde natürlich weiterforschen, will die Arznei schon finden. Ich wünsche mir den Tag herbei, gleichzeitig habe ich Angst davor. Was soll ich tun, wenn ich das Rätsel gelöst habe? Welchen Sinn hat mein Dasein dann noch?»
    «Leben, Adam. Leben sollst du und dich an der Schönheit der Schöpfung freuen. So wie Nora. So wie ich.»
    Er schüttelte den Kopf. «Das kann ich nicht, Priska. Ich sagte schon, das Leben ist zu schwer für einen wie mich.»
     
    Selbst als der Rat der Stadt der Bürgerschaft bei Leib- und Lebensstrafe verbot, lutherische Bücher zu lesen und zu den lutherischen Predigten zu gehen, war der neue Glaube nicht aufzuhalten. Nicht einmal, als viele Bürger deshalb mit Weib und Kindern aus der Stadt gewiesen wurden.
    Auch Priska hatte natürlich eine Bibel. An beinahe jedem Abend saß sie in der Wohnstube und las die Geschichte des Jesus von Nazareth, der einst ein Jude gewesenwar. Dabei dachte sie an Aron. Ob er kommen würde, so wie er es versprochen hatte? Zu Weihnachten schon wollte er kommen, nicht erst zur nächsten Messe. Er hatte bereits sein Quartier ausgemacht. In Zuckelhausen würde er wohnen, ganz in Evas Nähe.
    Zuckelhausen. Priska wurde wehmütig zumute, wenn sie an das kleine Dörfchen dachte, das von Tag zu Tag größer wurde. Die der Stadt Verwiesenen hatten sich zum Teil dort niedergelassen. Hütte um Hütte entstand, Haus für Haus wurde gebaut. Das Dorf wurde reicher, die Bauern fröhlicher. Es war, als hätte die neue Zeit dort ihr Zuhause gefunden. Priska war dort so oft sie konnte.
    Johann von Schleußig hatte ein Stück Land erworben. Er ließ darauf ein kleines Haus bauen, gerade richtig für Eva und ihn. Bald schon würde das Haus fertig sein, wenige Wochen nur noch dauerte der Bau. Dann würde er, vielleicht schon zu Weihnachten, mit Eva dorthin
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