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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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sich mit Eva und der Alten angefreundet. Sie lächelte und sah ihnen in die Augen. Sie nickte und schüttelte den Kopf. Und manchmal, wenn Eva sang, wiegte sie sich dazu in den Hüften. Aber noch immer saß sie manchmal bewegungslos stundenlang an einem Platz und starrte vor sich hin.
    Das Hurenhaus gab es nicht mehr. Die Herbergsmutterwar weggegangen, das Geschäft wurde jetzt von ambulanten Hübschlerinnen, die wie Gaukler von Ort zu Ort, von Messe zu Messe, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen, besorgt. Dann gab es ja auch noch die «heimlichen Huren», Frauen, die innerhalb der Stadtmauern mehr oder weniger heimlich arbeiteten und widerwillig vom Rat der Stadt geduldet wurden.
    Eva fragte jedes Mal, wenn Priska kam, wie es Johann von Schleußig ginge, und Priska wusste, dass sie insgeheim auf ihn wartete. Aber er blieb, wo er war.
    «Ich werde hier gebraucht, mehr denn je», behauptete er. «Meine Gottesdienste sind so gut besucht wie seit Jahren nicht mehr. Die Leute brauchen mich gerade in dieser Zeit.»
    Er hatte Recht, Priska wusste es, doch auch Eva brauchte ihn.
    «Ihr könnt nicht alle Menschen lieben, wenn Ihr es bisher noch nie gewagt habt, einem einzigen Eure ganze Liebe zu schenken», hatte sie ihm gesagt.
    «Ihr meint, ich wäre ein Feigling, nicht wahr?»
    «Seid Ihr einer?», hatte Priska zurückgefragt.
    Johann von Schleußig hatte gelächelt, aber es war ein sehr wehmütiges Lächeln gewesen.
    Den Lutherischen ging es schlecht in Stadt und Land. Dr.   Martin Luther hatte eine Bannbulle bekommen. Auf dem Reichstag zu Worms war die Reichsacht gegen ihn verkündet worden. Kaiser Karl   V. selbst hatte Luther zum vogelfreien Mann erklärt. Nur mit Mühe und Not und mit Hilfe von Kurfürst Friedrich war es ihm gelungen, auf die Wartburg zu fliehen. Danach hatte man nichts mehr von ihm gehört.
    Dann gab Kunz Kachelofen, der Drucker, eine Schrift heraus, die ein so großes Ereignis war, dass wochenlang von nichts anderem gesprochen wurde: Dr.   Martin Luther hatte auf der Wartburg die Bibel ins Deutsche übersetzt! Zum ersten Mal seit Menschengedenken lag die Heilige Schrift in der Sprache vor, die die Menschen in Stadt und Land sprachen und verstanden.
    5000   Exemplare hatte Kachelofen gedruckt. Und schneller, als er zählen konnte, waren sie verkauft. Man traf sich am Abend, um heimlich in diesem Buch zu lesen, man sprach in den Gassen, auf dem Markt und am Brunnen davon. Ganz Leipzig war zu einer Schule der Heiligen Schrift geworden. Jeder, der des Buches habhaft werden konnte, verschlang es und redete darüber.
    Das aber erzürnte Herzog Georg so, dass er einen strengen Befehl gegen die Lutherischen ergehen ließ. Er befahl die Ablieferung aller Exemplare. Doch nur vier Bücher wurden ins Rathaus getragen. Vier von fünftausend!
    Das Getuschel und Gewisper wurde nicht weniger, im Gegenteil. Sogar die Mönche, deren Herren Luther einen Ketzer nannten, suchten sich das Buch zu beschaffen.
    Johann von Schleußig aber ging lustlos und müde durch die Gassen und die Kirchen. Jeder sprach ihn an. Handwerksburschen schlugen ihm anerkennend auf die Schultern, Frauen nannten ihre neugeborenen Söhne nach ihm, Alte segneten ihn. Fast war er ein Held, doch er selbst schien sich nicht als solcher zu sehen.
    «Ich bin erschöpft», sagte er, als er Priska und Adam in der Klostergasse besuchte. «Nun habe ich erreicht, was mir wichtig war. Nun kann ich lutherisch predigen und die Bibel auf Deutsch lesen. Aber noch immer fehlt mir etwas.Ohne Eva ist alles nur halb so schön, halb so bunt, halb so wichtig. Ohne sie ist alles nur halb: der Tag, die Nacht, der Schlaf, das Lachen und das Weinen. Wie gern würde ich bei ihr sein. Sie ist es, die ich brauche, um glücklich zu sein.»
    «Ihr seid ein Priester», erinnerte Priska. «Natürlich könnt Ihr zu ihr gehen und Ihr Eure Liebe gestehen. Aber das wird nicht ausreichen. Sie möchte ihre Liebe auch leben. Jeder, der liebt, wünscht sich das.»
    «Soll ich die Kutte ausziehen?»
    «Das müsst Ihr selbst wissen. Luther selbst besteht nicht auf dem Zölibat. Überall im Land verlassen Mönche und Nonnen ihre Klöster. Sind sie nun weniger fromm? Weniger tugendhaft, nur, weil sie leben wollen, wie Menschen miteinander leben sollten? Glaubt Ihr etwa, dass die Liebe zu Gott unter der Liebe zu seiner Schöpfung leidet?»
    «Nein, nein. Gewiss. Es ist, wie Ihr sagt.»
    «Nun denn», erwiderte Priska und sah dem Priester nach, der mit eingezogenen Schultern, aber doch
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