Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
Vom Netzwerk:
sammeln. Nur zwanzig Kilometer! Almut hatte angerufen und geraten, in den Keller zu gehen. Hockte sie nun selber im Keller? Almut erwartete ein Kind.
    »Sie sagen wieder was!« rief Uli aus der Küche.
    Janna-Berta lief hinüber. Uli drehte an den Knöpfen des Radios.
    Mit ungeheurer Lautstärke dröhnte es durch die Wohnung: »Der Katastrophenstab für den Regierungsbezirk Unterfranken/ Würzburg gibt folgende Anordnung bekannt: Durch den bereits gemeldeten Unfall im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld wurde vorübergehend Radioaktivität freigesetzt. Dadurch sind in einigen Gebieten der näheren Umgebung des Kernkraftwerkes Vorsichtsmaßnahmen für die Bevölkerung unumgänglich. Die Bevölkerung wird zur sofortigen Räumung folgender Ortschaften aufgefordert –« *
    »Was sagt er?« fragte Uli.
    »Sei doch still!« rief Janna-Berta.
    Sie hörte das Wort Schweinfurt. Auch Bad Kissingen und Hammelburg wurden genannt. Eine Reihe anderer Ortsnamen folgte. Sie stellte das Radio wieder leiser. Am Knopf klebten Raspeln roher Kartoffeln.
    »Kraftfahrzeugbesitzer werden gebeten, ältere oder gehbehinderte Nachbarn und Mütter mit Kleinkindern bis zur nächsten Kontrollstelle mitzunehmen ...«, hörte Janna-Berta. Und dann: »Wer nicht motorisiert ist, begibt sich auf kürzestem Weg zur nächsten Schule, Sporthalle, Gemeindehalle, Kirche oder einem anderen Versammlungsraum und wartet auf die Abholung. Beim Verlassen der Wohnung sollten Sie nur das Notwendigste mitnehmen! Dazu gehören ...«*
     
    * Die kursiv gesetzten und mit einem Sternchen gekennzeichneten Passagen sind, nur leicht geändert, amtlichen Entwürfen von Katastrophenschutzplänen entnommen.
     
    Bayern 3. Janna-Berta versuchte, einen hessischen Sender zu finden. Als die Stimme des Ansagers verstummte, dröhnte von draußen, durch die offene Balkontür, der Lautsprecher eines Polizeiwagens. Uli rannte schon auf den Balkon, Janna-Berta ihm nach. Sie beugten sich über die Brüstung. Der Wagen fuhr die Bahnhofstraße entlang, sie konnten ihn genau sehen.
    »Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Innerhalb des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld bei Schweinfurt hat sich heute gegen zehn Uhr ein kerntechnischer Unfall ereignet. Die Bevölkerung von Schlitz wie des gesamten Vogelsbergkreises wird zum Schutz ihrer Gesundheit dringend gebeten, sich sofort in geschlossene Räume zu begeben und alle Türen und Fenster zu schließen.
    Schalten Sie Lüftungs- und Klimaanlagen ab. Essen Sie vorerst möglichst nur im Hause vorhandene Konserven aus Dosen, Gläsern oder sonstigen staubdichten Verpackungen! Schließen Sie Ihre Haustiere sofort in Wohnung oder Stall ein. Verfüttern Sie an Haustiere nur in Haus, Scheune oder Stall gelagerte Futtermittel. Schalten Sie Ihr Rundfunk- oder Fernsehgerät ein. Informieren Sie Ihre Mitbewohner im Haus. Dies sind vorsorgliche Maßnahmen! Es besteht deshalb kein Anlaß zur Beunruhigung. Bleiben Sie ruhig und besonnen. Über etwaige notwendige weitere vorsorgliche Schutzvorkehrungen werden Sie unterrichtet ...«*
    Der Lautsprecher verstummte.
    »Das hat Almut auch gesagt«, rief Uli. »Wir sollen in den Keller gehen und alle Türen und Fenster zumachen. Aber die anderen fahren alle weg!«
    Er zeigte hinunter auf das Städtchen. Lärm hallte herauf. Wagen stauten sich an den Einmündungen zur Bahnhofstraße und hupten. Wo die Straße aus Fulda auf die Bahnhofstraße stieß, hatte sich eine Schlange gebildet. Vor der Kreissparkasse waren zwei Wagen aufeinandergeprallt. Janna-Berta hörte Geschrei. Aber es gab keinen Auflauf. Auch auf der Abzweigung nach Lauterbach hatte es eine Karambolage gegeben. Die Wagen umfuhren die Unglücksstellen, schaukelten über den Bürgersteig. Die Straße nach Westen, nach Lauterbach hinüber, war stark belebt. Aber der stärkste Verkehr rollte nach Norden. Offensichtlich versuchten viele, auf die Autobahn Würzburg-Kassel zu kommen.
    Unten, gegenüber der Garage, stiegen Soltaus in ihren Wagen. Der war vollgestopft mit Gepäck. Auf dem Rücksitz saß, eingezwängt zwischen Taschen und Kartons, die alte Frau Geibert. Frau Soltau streckte den Kopf aus dem Seitenfenster.
    »Ihr wollt doch nicht etwa dableiben?« rief sie herauf. »Das Zeug kann jeden Augenblick hier sein!«
    »Fenster zu!« hörte Janna-Berta Herrn Soltau brüllen.
    Frau Soltau zog den Kopf zurück, das Fenster schloß sich, der Wagen rollte abwärts und verschwand hinter der Hangmauer.
    »Warum fahren sie weg?« fragte Uli.
    »Sie haben Angst«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher