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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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antwortete Janna-Berta.
    »Wir auch?« fragte Uli.
    Janna-Berta schluckte. »Nein«, sagte sie, ohne Uli anzusehen.
    Sie versuchte, ihre Lage zu überdenken. Sie besaßen nur Fahrräder. Konnten sie auf ihnen dem Südostwind entkommen? Sie beobachtete die Lärchenzweige im Nachbargarten. Sie hoben und senkten sich. Der Wind hatte nicht nachgelassen. Aber vielleicht hatte er sich gedreht? Sie hob ihr Taschentuch. Es flatterte noch immer nach Nordwest. Etwas mehr nach Norden als nach Westen.
    Atombunker kamen ihr in den Sinn. Vielleicht sollten sie sich doch im Keller einrichten?
    »Bleiben wir da oder fahren wir weg?« drängte Uli. »Wenn wir dableiben, geh ich die Kartoffeln fertigreiben. Ich hab Hunger –«
    Almut hatte geraten, in den Keller zu gehen, und die Polizei auch. Der Vorratskeller der Großeltern war wahrscheinlich der beste Raum dafür. Er lag an der rückwärtigen Mauer des Hauses, tief im Berghang. Oma Berta hatte dort ganze Reihen von Konservendosen, vollen Weckgläsern und Marmeladengläsern stehen, auch Unmengen von Mehltüten, Milchpulverbüchsen, Zuckersäckchen, Nudelpackungen, von allem, was eßbar und haltbar war. Sie achtete immer genau darauf, daß keine Lücken entstanden. Opa Hans-Georg behauptete, sie hätte einen Eichhörnchenkomplex. Und Vati hatte Janna-Berta einmal erklärt, seine Mutter habe sich die Horterei im letzten Weltkrieg angewöhnt. Damals sei das auch richtig und notwendig gewesen.
    Janna-Berta warf einen Blick auf ihre Uhr. Zwölf Uhr zwei. Seit sie die Schule verlassen hatte, waren dreiundsechzig Minuten vergangen.
    »Wir bleiben hier«, sagte sie entschlossen. »Im Keller.«
    Uli nickte und wollte in die Küche zurück. Janna-Berta erklärte ihm, daß jetzt keine Zeit zum Kartoffelreiben blieb, und ließ ihn Besteck und Geschirr für den Keller zusammensuchen. Sie selber lief durchs ganze Haus und schloß Türen und Fenster. Oma Bertas Vorratskeller hatte kein eigenes Fenster, sondern nur eine Luke zum Nachbarkellerraum. Dessen Fenster schloß sie sorgfältig.
    Uli hatte das Radio in der Küche wieder auf volle Lautstärke gedreht. Bis in den Keller schallte eine neue Durchsage: »An alle Einwohner Nordbayerns und Osthessens: Bitte verlassen Sie Ihren Wohnort nicht, solange die zuständigen Behörden Sie nicht dazu auffordern! Alle ernstlich gefährdeten Bezirke werden evakuiert. Wer unaufgefordert flüchtet, stört den reibungslosen Ablauf des Verkehrs und damit auch die Evakuierungsmaßnahmen. Die Polizeiorgane sind angewiesen, gegen alle Zuwiderhandlungen drastisch vorzugehen, um die Verkehrswege für eine geordnete Evakuierung freihalten zu können. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Handeln Sie mit Verantwortungssinn!«*
    »Schalt aus«, rief Janna-Berta hinauf, »sonst hören wir das Telefon nicht klingeln!«
    Uli schaltete das Radio aus, stülpte sich eine Schüssel auf den Kopf und trug einen Henkeltopf, voll mit Messern, Gabeln, Löffeln und einem Büchsenöffner, in den Keller. Janna-Berta hastete in Ulis Zimmer, riß Jeans aus dem Schrank, Unterwäsche, T-Shirts, zwei Pullover, stopfte sie in eine große Plastiktüte, klappte Ulis Bett auf, zerrte Steppdecke und Kopfkissen heraus und schleppte alles treppab bis zur Tür von Oma Bertas Keller. Dann rannte sie wieder hinauf und schleifte Ulis Matratze hinunter, fieberhaft überlegend, was sie beide da unten außer Bettzeug, Kleidung und Essen noch brauchen würden. Kerzen? Es konnte einen Stromausfall geben. Ein paar Bücher. Memory und Malefiz. Spielzeug für Uli, vor allem seinen Teddybär. Ohne ihn weigerte er sich zu schlafen. Wasser – wie war es mit Wasser?
    Atemlos holte sie auch ihr Bettzeug. »Und wenn wir mal müssen?« rief Uli vom Keller herauf, wo er seine Matratze neben Oma Bertas Kartoffelkiste schleifte und seine Daunendecke darüberbreitete.
    Daran hatte Janna-Berta noch nicht gedacht. Konnten sie dazu in die Wohnung hinaufgehen? Oder sollte sie einen Eimer mit Deckel in den Kellerraum stellen? Würden sie es aushalten in dem Gestank? Da schrillte das Telefon. Janna-Berta stürzte ins Wohnzimmer. Es war Frau Jordan, die Nachbarin.
    »Seid ihr denn allein, um Himmels willen?« fragte sie. »Ich hab euch auf dem Balkon gesehen. Wir fahren gleich. Kommt rüber, wir haben noch Platz.«
    »Nein«, sagte Janna-Berta. »Wir sollen hierbleiben. Wir gehen in den Keller.«
    »Sagen das eure Eltern?« fragte Frau Jordan. »Die müssen ja wissen, was sie tun.«
    Sie legte auf.
    »Jetzt ist sie
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