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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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Oberwegfurth zu weinen anfing. Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte der Strecke nach Bad Hersfeld geschafft. Dort, so hatte sich Janna-Berta überlegt, wollte sie mit Uli in einen Zug einsteigen. Sie wußte, daß von dort ein Intercity durchfuhr bis Hamburg. In Hamburg lebte Helga, Vaters Schwester.
    »Du bist eine Heulsuse«, sagte Janna-Berta. Doch dann erlaubte sie ihm fünf Minuten Rast und packte Schnittbrot und Käse aus. Uli sprang vom Rad, ließ es ins Gras kippen und warf sich daneben. Sie reichte ihm eine Scheibe Brot mit Käse. Er würgte alles hinunter, während sie neben ihm stand und ihm nervös zusah.
    »Mach schneller!« drängte sie. Sein Haar war strubbelig, sein Gesicht schmutzig von Schweiß und Staub. Und es schien, als wolle er gleich einschlafen. Die Augen fielen ihm fast zu.
    Janna-Berta warf einen Blick auf den südlichen Himmel. Dann fiel ihr auf, daß die Wagen hinter ihrem Rücken plötzlich viel langsamer fuhren. Auch Uli hob den Kopf.
    »Stau«, sagte er.
    »Komm«, rief Janna-Berta, »jetzt sind wir die Schnelleren. Die werden gucken, wenn wir an ihnen vorbeiradeln.«
    Uli war von dem Gedanken begeistert. Er schwang sich aufs Fahrrad und trat mit Schwung in die Pedale. Janna-Berta konnte ihm kaum folgen. Er grinste stolz in die Gesichter hinter den Wagenfenstern. Die Kolonne wurde immer langsamer, fuhr schließlich nur noch im Schrittempo. Eine Mutter schimpfte mit einem Jungen in Ulis Alter, der darauf die Tür aufstieß und während der Fahrt hinauspinkelte. Ein Fahrer drohte einem anderen, der überholt hatte und sich nun wieder einreihen wollte. Eine Frau kurbelte das Fenster herunter, deutete aufgeregt in den südlichen Himmel und schrie: »Dort kommt's! Dort kommt's!« Dann behauptete sie, da sei irgendein fremder Geruch. Säuglinge plärrten, Frauen drückten ihre Kinder an sich. In einem Wagen wurde gebetet.
    Als Janna-Berta und Uli sich dem Dorfeingang von Oberwegfurth näherten, kam wieder Bewegung in die Kolonne: Wagen scherten nach rechts aus und rasten über die Fuldabrücke, um dann, am jenseitigen Talhang, wieder nach Norden einzuschwenken. Janna-Berta kannte das Tal genau. Sie gehörte den Bad Hersfelder Pfadfindern an. Seit zwei Jahren fuhr sie die Strecke jeden Freitagnachmittag mit dem Bus, an nicht zu heißen Sommertagen auch mit dem Fahrrad.
    »Fahren wir auch über die Brücke?« rief Uli zurück.
    Janna-Berta verneinte. Die Landstraße, die am gegenüberliegenden Talhang nach Norden führte, war sehr schmal. Dort würden sie von den Autos in den Straßengraben gedrückt.
    Auf der Schlitzerländer Straße hatten sich jetzt zwei Kolonnen gebildet, die nebeneinander im Traktortempo dahinfuhren. Es gab keinen Gegenverkehr mehr. Wer wollte auch nach Süden, der Wolke entgegen?
    Die Kinder holten den Nachtstuhl ein. Diesmal stand er am Straßenrand. Eine alte Frau in einem geblümten Morgenmantel saß darauf, eine jüngere beugte sich über sie und versuchte sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Im Stuhl hing kein Eimer. Die alte Frau stöhnte.
     
    Zwischen Oberwegfurth und Unterwegfurth fiel Ulis Teddy vom Gepäckträger. Es dauerte eine Weile, bis Janna-Berta ihn wieder festgeklemmt hatte. Heimlich verwünschte sie das grinsende Plüschvieh.
    Dann kam schon die Autobahnbrücke, die das Fuldatal überquerte, in Sicht. Aber Janna-Berta und Uli sahen nicht hinüber. Sie waren damit beschäftigt, Wagen wiederzuerkennen, die vor einer guten Weile an ihnen vorbeigerauscht waren. Kurz hinter Unterwegfurth überholten sie den Besitzer des Supermarkts, den Briefträger, Ulis Lehrerin, die Verkäuferin aus dem Metzgerladen.
    »Seid ihr beiden allein unterwegs?« fragte die Lehrerin aus einem schmalen Fensterspalt.
    Als Uli nickte, rief sie: »Kommt! Wenn ihr euch auf die Koffer setzt und die Köpfe einzieht, könnte es gehen.«
    »Nein«, rief Uli zurück. »So kommen wir schneller voran!«
    Dort, wo die Straße aus dem Schlitzer Ländchen auf die Bundesstraße 62 stieß, begriff Janna-Berta, warum der Verkehr so zäh floß: Bis hierher reichte die Doppelschlange, die sich vor der Autobahnauffahrt staute. Als sie zur Autobahnbrücke hinübersah, entdeckte sie, daß dort nur Einbahnverkehr herrschte: Auf der Fahrbahn, die über Fulda und an Schweinfurt vorbei nach Würzburg führte, kroch der Verkehr in der falschen Richtung.
    »Schau zur Brücke!« rief sie Uli zu. »Lauter Geisterfahrer!«
    Wo die Autobahnauffahrt von der B 62 abzweigte, versuchten ein paar
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