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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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getan hatte. Dann würde die Tür aufgehen, und Mutti stünde im Türrahmen und sagte: »Da bist du ja.« Kai käme angesprungen, ließe sich von Janna-Berta auf den Arm nehmen und abküssen, und Uli erschiene mit breibeschmierten Fingern und einer Reibe und riefe: »Noch drei Kartoffeln, dann bin ich fertig!« Aus dem offenen Wohnzimmer käme der Duft von Vatis Pfeifenrauch.
    Janna-Berta hatte Mühe mit den Stufen. Auf halber Höhe mußte sie stehen bleiben und sich auf die steinerne Balustrade stützen. So hatte sie Oma Berta oft stehen sehen, wenn sie vom Einkauf heimgekehrt war. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihre Knie waren weich. Sie erinnerte sich, wie sie manchmal vor Oma Berta die Stufen hinaufgehüpft war und ihr von oben lachend zugerufen hatte: »Ich bin schon da!«
    Dann hatte Oma Berta dort unten auf halber Höhe, auf die Balustrade gestützt, den Kopf gehoben und matt hinaufgerufen: »Warte nur, bis du alt bist. Du kommst auch einmal dahin.«
    Langsam stieg sie weiter. Unter dem Balkon lag ein Haufen vertrockneter Geranien. Sie wunderte sich. Gewiß, niemand hatte die Geranien gegossen, nachdem sie und Uli das Haus verlassen hatten. Wer aber hatte die dürren Stauden aus den Blumenkästen entfernt, wenn das Haus leerstand?
    Eine Hoffnung flackerte in Janna-Berta auf, wurde groß, nahm ihr den Atem. Wie, wenn das alles ein Mißverständnis gewesen war? Eine unglückliche Verkettung von Falschinformationen und Irrtümern? Wenn Vati und Mutti und Kai –?
    Sie nahm den Schlüssel aus der Tasche und schloß leise auf.

16
    Sie lauschte mit vorgerecktem Kopf. Aber nichts rührte sich. Kein Knarren der Tür, die das Treppenhaus von der Wohnung trennte, kein Tak-tak von Muttis Absätzen, kein Trippeln von Kinderfüßen war zu hören. Und es roch nicht nach Pfeifenrauch, sondern nach abgestandener Luft. Von draußen drang der Geruch von faulem Laub herein. Janna-Berta setzte sich auf die Treppe und stützte den Kopf in die Hände.
    Aber da waren doch Geräusche! Langsam tappten Schritte aus dem Oberstock, wo Oma Bertas und Opa Hans-Georgs Wohnung lag, die Treppe herab. Opa Hans-Georgs Schritte – unverwechselbar! Jetzt hörte sie ihn sich sogar räuspern.
    »Ist da wer?« rief er herunter.
    Sie fuhr herum, riß die weiße, bauschige Mütze aus der Jutetasche und zog sie sich über den Kopf. Dann trat sie vor.
    »Ich bin's«, sagte sie.
    Er beugte sich übers Treppengeländer. Sie erkannte sein langes, schmales, glattrasiertes Gesicht mit den Tränensäcken und der grauen Strähne, die ihm immer in die Stirn fiel. Seine Augen waren schon nicht mehr sehr gut. Er brauchte eine Weile, um sie zu erkennen. Aber als er begriff, geriet er außer sich.
    »Großer Gott – Janna-Berta, bist du's?« rief er, kam ihr zwei Stufen entgegen, kehrte dann wieder um und rief hinauf: »Berta, komm schnell, Janna ist da!«
    Noch bevor er Janna-Berta erreicht hatte, öffnete sich im Oberstock die Wohnungstür, trippelten Schritte. Oma Berta erschien: erst ihre Hand am Geländer, dann ihr Kopf, der sich darüberbeugte. Und schon hastete sie die Treppe herunter.
    »Ach Jannchen, Jannchen«, rief sie, »daß du schon gekommen bist! Was für eine Überraschung!«
    Opa Hans-Georg erreichte Janna-Berta zurst. Er drückte sie an sich und küßte sie auf beide Wangen. Sie hielt die Mütze fest, die zu rutschen drohte. Dann schob ihn Oma Berta beiseite. Janna-Berta hatte sie nicht so klein in Erinnerung. Sie mußte sich zu ihr hinunterbeugen. Oder war sie, Janna-Berta, inzwischen gewachsen?
    »Wie schmal du geworden bist«, sagte Oma Berta und tätschelte ihr die Wange. »Kein Wunder nach all der Aufregung. Nun wollen wir dich aber schnell herausfüttern.«
    Janna-Berta schien es, als träumte sie. Langsam stieg sie die Treppe hinauf. Hinter ihr gingen Oma und Opa. Oma Berta hatte sich bei Opa Hans-Georg eingehängt. So war sie schon immer die Treppe hinaufgegangen, solange sich Janna-Berta erinnern konnte. Und aus der offenen Wohnungstür duftete es nach Kaffee, so, wie es hier schon immer um diese Tageszeit geduftet hatte.
    »Du mußt entschuldigen«, keuchte Oma Berta, »daß wir noch nicht alles saubergemacht haben. Zum Beispiel das Gästezimmer und Opas Arbeitszimmer. Wir sind ja heute erst den dritten Tag hier. Du glaubst nicht, wie schmutzig alles war. Alles verstaubt. Und was für ein Geruch in der Wohnung!«
    »Wir waren mit bei den ersten«, sagte Opa Hans-Georg,«die hier in Schlitz wieder eingezogen sind. Wir hatten ja
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