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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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Ende der Welt? Gott sei Dank hat uns jemand den Tip Südafrika gegeben. Ich wundere mich, warum nicht mehr Deutsche dort hingehen. Ein ideales Klima! Und man ist dort auch ohne Vermögen willkommen.«
    »Schlitz«, sagte Janna-Berta. »Wie ist es in Schlitz?«
    »Leer«, sagte Lars' Vater. »Was sollen wir dort noch mit unserem Geschäft, wenn keine Kundschaft mehr da ist? Und auf eine Entschädigung können wir lange warten.«
    Janna-Berta saß still und antwortete nicht.
    Aber Lars sprang auf.
    »Seid ihr noch bei Trost!« schrie er. »Wen interessiert denn jetzt noch euer Scheißladen? Wen, außer euch? Und wer entschädigt sie?« Er zeigte auf Janna-Berta. »Habt ihr euch das da mal überlegt? Was meint ihr: Was sind Eltern wert? Und Geschwister? Was beklagt ihr euch überhaupt? Wer war denn immer für die Kernenergie? ›Damit hier nicht die Lichter ausgehen.‹ Erinnert ihr euch? Nein?«
    Die Eltern starrten ihn sprachlos an. Er faßte Janna-Berta am Arm und zog sie fort.
    »Fahrt nach Südafrika, da gehört ihr hin!« rief er über die Schulter zurück. »Von einem Wahnsinn in den anderen!«
    Sie blieben unter einer Baumreihe stehen.
    »Das war's dann wohl«, sagte er. »Mir war schon lange danach. Danke fürs Stichwort!«
    »Erzähl mir von Schlitz«, sagte Janna-Berta.
    Schatten spielten auf seinem Gesicht. Er hob und senkte die Schultern.
    »Gespenstisch«, sagte er. »Von weitem sieht alles aus wie heile Welt: der Stadtberg, die Fachwerkgiebel, die Türme. Aber wenn du durchgehst, hallen die Schritte, und vor den Haustüren liegt dürres Laub. Die meisten Rolläden sind geschlossen. Und in den Gärten wuchert das Unkraut, auch zwischen den Pflastersteinen auf dem Marktplatz, und hier und dort sieht man Mäuse huschen.«
    Janna-Berta wollte nach ihrem Haus fragen. Aber es lag ja auf dem Hang über der Stadt, fern von der Durchgangsstraße. Dort konnte er nicht vorbeigekommen sein. Und wenn auch – was konnte man einem Haus von außen schon ansehen?
    »Meine Eltern«, sagte Lars, »wollten nur wissen, ob im Haus oder im Geschäft geplündert worden war. Aber es hat nichts gefehlt. Als sie feststellten, daß die Stromversorgung schon wieder funktionierte, konnten sie die deutsche Ordnung nicht genug loben.«
    Er dachte nach.
    »Das Unheimlichste dort«, sagte er, »ist das Laub. Es ist schon ganz gelb, wie sonst so Ende Oktober, und manche Bäume sind schon kahl.«
    Janna-Berta sah nach oben in die Baumkronen.
    »Fahr hin«, sagte er. »Eher kriegst du doch keine Ruhe.« Und er fügte hinzu: »Ich hätte nie geglaubt, daß ich an dem Kaff so hänge.«
    »Danke«, sagte Janna-Berta.
    Mit einem Kopfnicken nahmen sie voneinander Abschied. Janna-Berta sah noch, wie Lars zu seiner Familie hinüberging.
    Sie selber kehrte auf die Wiese zurück. Sie fand die Großmutter auf den Stühlen vor der Rednertribüne und nahm ihr die Kleinen ab. Erleichtert widmete sich die Großmutter wieder ihrem Strickzeug, das sich auf ihrem Schoß flauschig bauschte. Ihre Nadeln klapperten. Sie kettelte ab.
    Janna-Berta entdeckte Paps hinter der Tribüne. Er bastelte an Elektrokabeln herum. Sie sah ihm eine Weile zu, bis die Kinder zu quengeln begannen. Seine Nähe konnte sie ertragen. Manchmal hob er den Kopf und lächelte ihr zu. Dann lächelte sie zurück. Sie wechselten kein Wort.
     
    Am Abend, als sie wieder zu Hause waren, eröffnete Janna-Berta den anderen, daß sie am nächsten Morgen nach Schlitz aufbrechen wollte.
    Almut reagierte bestürzt.
    »Dort hinein?« rief sie. »Ins verseuchte Gebiet? Warum denn so plötzlich? Laß doch noch ein paar Wochen oder Monate vergehn. Du versäumst ja nichts. Niemand erwartet dich dort.«
    »Die Wohnung ist sowieso verstaubt«, sagte Reinhard, »und das viele Unkraut im Garten erledigt der Winter.«
    Sie hatten recht. Und trotzdem: Sie konnte einfach nicht mehr warten.
    »Morgen ist doch die Einweihung«, sagte Almut. »Möchtest du die versäumen, nachdem du so viel dafür getan hast?«
    »Laßt sie gehen«, sagte Paps. »Wenn sie's hinzieht, könnt ihr sie nicht halten.«
    »Aber du kommst doch wieder?« fragte die Großmutter mit ängstlichen Augen.
    »Ich weiß es noch nicht«, sagte Janna-Berta. »Ich will euch nichts versprechen. Es ist alles noch offen.«
    »Es sieht so aus«, meinte Paps, »als ob du genau das Richtige tust. Wir wünschen dir eine gute Reise – und nicht mehr Trauer, als du ertragen kannst.«
    Almut übergab ihr eine Geldbörse mit einem Hundertmarkschein und ein
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