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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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roten Lederband. Als sie daran zog, gab es nach, ohne daß sie es zerreißen mußte. Der Schlüssel fiel ihr in die Hand. Sie steckte ihn ein und nahm den Klappspaten aus der Jutetasche.
    Sie brauchte keine große Grube auszuheben. Als ihr das Loch tief genug erschien, legte sie die Sonnenblumen hinein, die jetzt schon welk waren, und bettete das armselige Bißchen, das von Uli geblieben war, darauf. Sie holte den Teddybär und legte ihn dazu. Dann schaufelte sie Erde darauf und trat sie fest. Mehrmals überkam sie ein starker Brechreiz. Aber sie gab ihm nicht nach.
    Kaum hatte sie ihre Arbeit beendet, klappte sie den Spaten zusammen und hastete, ohne sich umzusehen, durch den Raps zurück und auf den Damm wie jemand, der sich, von der Flut verfolgt, auf einen Deich rettet. Außer Atem schaute sie zurück auf das Rapsfeld. Ihre Spuren waren kaum zu erkennen, und wo das Grab lag, erriet sie nicht mehr.
    Sie spürte, wie ihre Knie zitterten. Nun brauchte sie sich nicht mehr zusammenzunehmen. Sie ließ sich fallen, lag lange auf dem Rücken und ließ die Wolken über sich hinziehen, friedliche, gutartige Wolken, bauschig wie Watte.
    Es mußte schön sein, auf Sonnenblumen zu liegen, von Stille, Dunkelheit und Kühle umgeben, ohne Angst.
    Die Schläuche ihres Fahrrads waren platt, aber die Pumpe funktionierte noch. Sie pumpte die Schläuche auf, nahm die Schultasche vom Gepäckträger und warf sie weg, ohne sie noch mal zu öffnen. Dann klemmte sie den Spaten auf den Gepäckträger und schob das Rad die Böschung hinunter. Es ließ sich nur mühsam treten und quietschte. Aber sie kam voran.
    Im Dorf rührte sich nichts. Auf den Straßen lag noch das trockene Laub und der von den letzten Regengüssen angeschwemmte Sand. Eine Ratte huschte über die Fahrbahn. Vor einer Haustür lag ein bis auf die Knochen abgemagerter Hund. Es war nicht zu erkennen, ob er tot war oder schlief. Als Janna-Berta an die Kreuzung kam, fand sie den ausgebrannten Bus und die Wracks mehrerer Wagen zusammengedrückt in dem Vorgarten, durch den damals der Mercedes geschaukelt war. Eine Planierraupe hatte wohl die Fahrbahn geräumt.
    Sie bog in die Bundesstraße 62 ein. Ein paar Häuser weiter lud eine Familie einen Wagen aus und trug Koffer und verschnürte Schachteln ins Haus. Im Oberstock stieß eine Frau ein Fenster auf. Janna-Berta hörte sie rufen: »Gott sei Dank, es ist alles noch da. Aber die Mäuse –!«
    Dann war das Dorf zu Ende. Wohin man sah, reihten sich ungeerntete, verwahrloste Felder aneinander, und an den Straßenrändern standen und lagen Autowracks. Aus dem halb herabgekurbelten Fenster eines Golfs huschte, als Janna-Berta auf ihrem Fahrrad vorüberquietschte, eine struppige Katze. Der Golf trug einen Dachgepäckträger. Neben dem Wagen lag ein Nachtstuhl.
    Auch in Beiershausen und Niederaula regte sich schon wieder Leben. Janna-Berta sah eine Frau Fenster putzen, sah einen Mann vor einem Feld stehen und den graubraunen Weizen betrachten, den der Regen zusammengeschlagen hatte. Ein alter Mann und ein etwa zwölfjähriger Junge schleiften ein totes Schwein aus einem Stallgebäude. Das hatten wohl die Aasbeseitiger übersehen.
    Ein Hund kläffte Janna-Berta an, als sie die Schläuche frisch aufpumpte. Immer wieder und immer öfter mußte sie anhalten, um zu pumpen. Die Schläuche waren während der heißen Sommermonate brüchig geworden.
    Es hatte aufgehört zu nieseln. Schemenhaft wuchs die Autobahnbrücke aus dem Nebel. Es herrschte nur mäßiger Verkehr und fast nur nach Süden: Lastwagen und hochbepackte Personenwagen. Den Hang neben der Autobahnauffahrt bedeckte ein ganzer Autofriedhof. Eine Schar Krähen hockte auf den Wracks und flatterte auf, als Janna-Berta vorbeikam.
    Sie bog von der Bundesstraße in die Landstraße ein. Hier begann das Schlitzer Ländchen. Unterwegfurth, Oberwegfurth. Eine Frau fegte den Bürgersteig, zwei Kinder spielten quer über die Straße Fußball, auf dem Pflaster eines Bauernhofs lag ein Mann unter einem Traktor und hämmerte. Es roch nach Kohlsuppe. Hinter Oberwegfurth hielt Janna-Berta unter einem Baum am Straßenrand an: An diesem Baum hatte sie gelehnt, als Uli das Brot und den Schnittkäse hinuntergewürgt hatte. Zu dieser Zeit hatten die Mutter und Kai noch gelebt, sicher auch Jo. Der Vater war vielleicht schon tot gewesen. Und Oma Berta und Opa Hans-Georg hatten ahnungslos auf ihrer Terrasse auf Mallorca gesessen und Kaffee getrunken.
    Sie griff nach dem Schlüssel in ihrer Hosentasche.
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