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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke
Autoren: Gudrun Pausewang
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auf Mallorca schon erfahren, daß die Sperrzone DREI am ersten Oktober aufgehoben werden sollte. Da war's mit unserer Geduld vorbei. Wir haben den Flug so gebucht, daß wir gleich vom Flughafen aus herfahren konnten. Wir haben ein Taxi genommen, Bus und Bahn verkehren ja noch nicht wieder regelmäßig. Und wir haben gleich in Frankfurt vor einem Supermarkt gehalten und das Taxi voll Lebensmittel geladen. Hier wird sich das alles ja erst allmählich wieder einspielen – ich meine die Einkaufsmöglichkeiten und all das.«
    »Weißt du, wir hatten Mallorca so satt«, unterbrach ihn Oma Berta, »und dann hatten wir auch Sorge um unsere Wohnung hier.«
    »Es ist ja alles ein bißchen aus der Fassung geraten durch die unglückselige Geschichte in Grafenrheinfeld«, fuhr Opa Hans-Georg lächelnd fort, »vielleicht auch die Moral, nicht wahr. Jedenfalls waren wir beide der Meinung, daß wir auf unsere Sachen hier besser selber aufpassen, anstatt alles der Polizei zu überlassen.«
    »Ich glaube«, sagte Oma Berta, »wir können auf dem Balkon Kaffee trinken. Die Sonne ist herausgekommen. Um diese Jahreszeit heizt sie noch schnell auf.«
    »Die Oma hat sogar schon Kuchen gebacken«, verkündete Opa Hans-Georg schmunzelnd.
    »Dafür war er schon im Garten zugange«, sagte Oma Berta. »Er hat's ja auch gar nicht abwarten können. Die Treppe war fast zugewachsen. Das hättest du sehen sollen! Das Gebüsch hatte sich ganz ungeniert ausgebreitet. Und hinterm Haus die Beete – unbeschreiblich!«
    Während Opa Hans-Georg die Stühle zurechtrückte und ein altvertrautes Tischtuch ausbreitete, stand Janna-Berta am Balkongeländer und schaute hinunter auf die Stadt. Die lag still in der Sonne.
    Ein paar Fußgänger, ab und zu ein Wagen – das war alles. Die Straßen waren gesprenkelt von braunem Laub, das niemand weggefegt hatte. Die herbstlichen Bäume schimmerten in der Sonne. Viele waren schon kahl.
    »Damals, an diesem Tag –«, begann sie langsam.
    »Pst«, unterbrach sie Oma Berta und machte eine ängstlich abwehrende Handbewegung, »ich will nichts hören. Bitte! Ich will an das alles nicht erinnert sein. Seien wir froh, daß alles noch gut ausgegangen ist.«
    »Vom Frankfurter Flughafen aus«, sagte Opa Hans-Georg, »haben wir Helga angerufen. Wir haben erfahren, daß es allen gutgeht. Sie können bald entlassen werden.«
    Janna-Berta atmete tief durch. Sie sah Oma Berta an. Die lächelte so zärtlich, so zufrieden zurück.
    »Ja«, sagte Janna-Berta ruhig, und sie war sich einen Augenblick lang ganz sicher, daß sie nicht log, »es geht ihnen gut. Sehr gut.«
    »Nun, dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Opa Hans-Georg, ließ sich am Kopfende des Kaffeetischs nieder und lehnte sich zurück. »Wir werden sie sicher bald wiedersehen. Die Jungen werden ordentlich gewachsen sein. Aber einen Gruß hätten sie wirklich nach Mallorca schicken können. So krank ist man nicht, daß man nicht wenigstens eine Karte schreiben kann.«
    »Du vergißt den Schock«, sagte Oma Berta milde. »Es muß hier ja ziemlich drunter und drüber gegangen sein.«
    Sie machte eine Pause, dann fügte sie etwas hastig hinzu: »Hat man denn auch ahnen können, daß diese Atommeiler so gefährlich sind?«
    Opa Hans-Georg wollte etwas sagen, aber Janna-Berta konnte nicht warten.
    »Haben es euch Mutti und Vati nicht oft genug gesagt?« fragte sie und beugte sich vor, gespannt auf Oma Bertas Antwort.
    »Ich bin der Meinung –«, begann Opa Hans-Georg und hob die Hand zu einer großen Geste.
    »Nein, Hans-Georg«, unterbrach ihn Oma Berta, »laß uns erst Kaffee trinken. Danach kannst du politisieren.«
    Politisieren. Janna-Berta erinnerte sich gut an dieses Wort. Oma Berta hatte es oft gebraucht. Ein bißchen abwertend, als ob es sich dabei um ein besonders nutzloses Hobby handle, wie Fußball, Briefmarken sammeln oder Kreuzworträtsel lösen. Das Wort hatte die Eltern immer wütend gemacht.
    Auch Oma Berta hatte sich nun niedergelassen. Der Tisch war liebevoll gedeckt. Ein Streuselkuchen duftete köstlich. Es fehlte an nichts – nicht einmal an Schlagsahne: Köstlichkeiten aus der guten alten Zeit. Bei Helga und Almut gab es weder Schlagsahne noch Streuselkuchen, und den Kaffee hellten sie mit Milchpulver auf.
    »Setz dich doch, Kind«, sagte Oma Berta. Sie lächelte über ihr ganzes liebes Gesicht. »Wer hätte gedacht, daß wir heute zu dritt Kaffee trinken würden?« Sie kicherte. »Das heißt, genaugenommen trinken wir auch nicht zu dritt Kaffee.
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