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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman
Autoren: Aufbau
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Vorgarten bedeutete ihm nicht sonderlich viel. Er war zu klein und zu zivilisiert. Aber wenn man durch den Hintergarten hinausging, den verfallenen roten Steinpfad entlang, am alten Treibhaus und an den Himbeerbüschen vorbei, die mit löchrigen Vogelschutznetzen überzogen waren, fand man sich in einer weit weniger gezähmten Welt wieder. Und genau hier, wo das Heilkraut, die Nesseln und das Brombeergestrüpp zügellos wucherten und sich niemals jemand außer ihm hin verirrte, verbrachte Tommy die meisten seiner wachen Stunden. Das war seine Stadt, der heimliche Wilde Westen. Indianerland.
    Er hatte ein paar Freunde an der kleinen Schule gefunden, |16| die er seit drei Jahren besuchte, und manchmal ging er zum Spielen zu ihnen. Aber seine Mutter erlaubte es ihm nur selten, sie zu sich einzuladen. Tommy machte sich nicht viel daraus. Er wusste, die anderen Jungen fanden ihn ein wenig sonderbar und dachten, er habe nur Western im Kopf. Sie spielten lieber Räuber und Gendarm, und selbst wenn er sie dazu überredete,
Wagon Train
mit ihm zu spielen, gab es immer Streit, wer Flint McCullough sein durfte. Darum spielte Tommy lieber alleine. Außerdem, die besten Cowboys waren Einzelgänger.
    Flints Gang hatte er bis zur Perfektion geübt. Er konnte auch nachahmen, wie der den Kopf neigte und eine Braue hochzog, wenn er nachdachte oder sich hinkauerte, um ein paar Fährten zu lesen, oder in der Glut eines Feuers stocherte, um herauszufinden, wie alt sie war. Am verwilderten Ende des Gartens, auf der kleinen Lichtung, wo er das Brombeergestrüpp abgehauen hatte, besaß Tommy sogar ein eigenes Pferd; einen abgebrochenen Ast eines alten Ahorn mit Zweigen genau da, wo die Steigbügel sein müssen. Eine braune Strippe, die an anderen Zweigen befestigt war, diente als Zügel. Tommy schwang sich in den Sattel genau wie Flint, spielend oder ernst, je nach der Geschichte, die er im Kopf hatte.
    Verborgene Dinge mussten auch nachgeahmt werden, Dinge, die für einen Achtjährigen nicht ganz leicht zu verstehen waren. Das waren die Dinge, die
im Inneren
vor sich gingen. Flint konnte den Charakter eines Mannes so scharfsichtig deuten wie Hufspuren im Staub. Er behielt seine Gedanken meistens für sich, lächelte selten und redete nur, wenn er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Auf seinen einsamen Abenteuern übernahm Tommy diese männlichen Eigenschaften, während er die Titelmelodie summte oder die dramatischere Musik, wenn Indianer auf der Bildfläche auftauchten. Und wenn es die Handlung erforderte, redete er (laut, aber nicht so laut, dass ihn jemand, der die Straße hinter der Hecke entlanglief, hören konnte) in Flints gedehnter Sprache.
    |17| Nicht immer spielte er
Wagon Train
. Er war auch gerne Red McGraw aus
Sliprock,
der am schnellsten von allen ziehen konnte. Er stand wie Red bedrohlich vor dem Spiegel in seinem Zimmer, die Hand knapp über dem Colt, und sagte den Vorspann der Sendung auswendig auf:
    In der Stadt Sliprock, dem gesetzlosen Herz des alten Westens, wo viele in Angst vor wenigen leben, kämpft ein Mann allein gegen die Ungerechtigkeit. Sein Name ist Red McGraw
.
    Manchmal, zur Abwechslung, war er Rowdy Yates aus
Rawhide
oder Cheyenne Body oder Matt Dillon. Maverick war auch in Ordnung, allerdings saß der zu oft in Saloons herum und trug komische Stadtkleidung. Tommy mochte lieber die in Wildleder, die durch die Steppe ritten, mit Indianern kämpften und Viehdiebe und Gesetzlose jagten. Ganz sicher spielte er niemals, nicht einmal als Leiche, einen dieser albernen, verweichlichten Cowboys, die zwei silberglänzende Colts und Pistolenholster ohne Beinriemen hatten wie Hopalong Cassidy oder The Lone Ranger. Wer nahm schon einen Revolverhelden ohne Beinriemen ernst? Am schlimmsten aber waren die
singenden Cowboys
wie Gene Autry oder der lächerliche Roy Rogers.
    Seine Mutter kam zurück, ein Glas Milch in der einen Hand, einen Teller mit einem Stück Apfelkuchen in der anderen, eine neue Zigarette zwischen den Lippen. Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, nahm Tommy ihr die Milch und den Kuchen ab.
    Flint und Bill versteckten sich hinter ein paar Felsen und beobachteten das Lager der Indianer. Die Nacht war hereingebrochen, die Indianer waren am Feuer eingeschlafen, außer einem, der das kleine Mädchen bewachte, und sogar der sah aus, als ob er gleich einnicken würde. Das Mädchen war an einen Baumstamm gefesselt und sah ziemlich unglücklich aus.
    »Vorsicht. Verschütte bitte nichts.«
    Seine Mutter zog an
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