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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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Gürtel.
    »Jetzt sind wir quitt«, sagte Jack. «Du hast ein Messer, ich hab ein Messer.«
    »Du hättest mich auch zwingen können, mein Messer fallen zu lassen«, stellte Archie fest.
    Jack grinste erneut. »Das wollte ich aber nicht.«
    Er trat einen Schritt auf Archie zu, der zurückwich. Jacks Blick verunsicherte ihn, als spüre er etwas in Jack, das ihn stutzig machte. Ihm Angst machte. Und es hatte nichts mit dem Messer oder den Revolvern zu tun.
    Da hielt Jack inne und überlegte. Er spürte den Wolf in sich, die Wildnis, und wusste, er hatte mit all seiner Geschwindigkeitund Gefährlichkeit auch dessen tödliche List und Ruhe in sich vereint. Und Archie hatte es gespürte.
    Doch Jack wollte das nicht. Der Wolf würde diesen Mann umbringen und Jack zum Mörder machen. Auch wenn es ein Duell mit gleichen Waffen war, wäre es Mord. Er hatte die Wildnis hinter sich gelassen, und wenn er jetzt in die Zivilisation zurückkehren wollte, musste er auch das Wilde zurücklassen. Die ganze Zeit hatte er sich gefragt: Wer ist Jack London? Nun blickte er in Archies Augen und wusste die Antwort.
    Er atmete tief durch und schob den Wolf weit von sich weg. Er war vielleicht sein Schutzgeist, Teil seines Innersten, aber er war nicht identisch mit ihm. Noch einmal tief durchatmen und das Grinsen wich ihm aus dem Gesicht. Er richtete sich auf.
    Jack brauchte den Wolf nicht, um Archie zu besiegen. Er brauchte den Jungen und den jungen Mann, der er einmal gewesen war, die Hafenratte, den Kneipenschläger, den Gassenkämpfer.
    »Wer wird um dich weinen, wenn du mit einem Messer im Bauch endest und sich die Fliegen über deine Leiche hermachen, sobald die Sonne aufgeht?«, fragte Jack.
    Das Pferdegesicht sah verwirrt aus, doch Archie zuckte zusammen.
    »Dachte ich mir«, meinte Jack. »Deshalb lass ich dir die Wahl. Du kannst kämpfen, oder du kannst diese armen Jungs in Ruhe lassen und selbst nach Gold schürfen. Vielleicht findest du eine Goldader und wirst reich. Hauptsache, du machst es selber.«
    »Archie …«, setzte das Pferdegesicht an.
    Jack schüttelte den Kopf und ließ Archie nicht aus den Augen. »Hör nicht auf den. Das ist ein geldgieriger Schweinehund, genau wie du. Dein letzter Partner hat dich hinterrücks abgeknallt.Ich sollte dich eigentlich nicht daran erinnern müssen, aber offensichtlich brauchst du das. Also, das sind die zwei Möglichkeiten. Gehen oder kämpfen. Aber wenn du kämpfst, musst du dir klarmachen, dass ich gewinne. Ich will dich nicht töten, aber wir haben beide Messer, und bei Messerkämpfen sterben Leute. So ist das nun mal.«
    Etliche lange Sekunden wusste Jack nicht, wie es ausgehen würde.
    Dann schien Archie die Luft auszugehen. Er lächelt ein wenig, fast beeindruckt, und hob seinen Mantel auf.
    »Du machst wohl Witze«, ärgerte sich das Pferdegesicht und stürmte auf ihn zu. »Du wirst doch nicht zulassen, dass dieser …«
    Archie schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass ihm ein Zahn aus dem blutig aufgeschlagenen Mund flog und im Mondlicht leuchtend am Boden landete. Pferdegesicht ging zu Boden, versuchte kurz, sich wieder aufzurappeln, und blieb dann benommen liegen.
    Archie zog sich seinen Mantel über und ging davon, ohne sich umzusehen.
    »Einen Moment lang hast du mir einen ganz schönen Schreck eingejagt«, sagte Merritt, während Jack seine Revolverhalfter aufhob und wieder umschnallte.
    Während er seinen Mantel anzog, lächelte Jack Merritt aufmunternd zu, sagte aber nichts. Er war nach Yukon gekommen, um die Wildnis zu bezwingen, und endlich hatte er es geschafft, aber überhaupt nicht auf die Weise, wie er es erwartet hatte. Sie war Teil von ihm geworden, tief in seinem Innersten, und egal, wo er auf der Welt hingehen sollte, er würde die Wildnis immer in sich tragen und ihren Ruf hören.
    Ein Teil von ihm würde immer Wolf bleiben, doch zuallererst war Jack London ein Mensch. Er war ein Sohn, ein Bruder, ein Freund. Er hatte Verpflichtungen, eine Tatsache, die er in der Wildnis vergessen hatte.
    Es war Zeit, nach Hause zu gehen.
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