Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
Vom Netzwerk:
putzen sollen.«
    Widerwillig und das Kinn etwas trotzig emporgereckt, nickte Dowd mit abgewandtem Gesicht, was Jack als Einwilligung auffasste. »Kehrt Sloper mit Ihnen heim?«
    »Ich hoffe es.«
    Gleich darauf hielt der Mann ihm wieder die Hand hin. Diesmal schlug Jack ein. »Ich bin nicht hier, um mir Feinde zu machen, Mr. Dowd«, erklärte Jack etwas milder. »Ich bin auf der Suche nach Abenteuern gekommen und hab mehr bekommen, als ich erwartet habe.«
    »Da können Sie sich glücklich schätzen. Die meisten bekommen weniger.«
    Auf einmal musste Jack laut loslachen, und damit war die Spannung zwischen Ihnen gelöst.
    »Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass Sie es schaffen zurückzukommen.«
    »Ich weiß. Ich auch nicht.«
    Während Jack in den folgenden Tagen seine Reisevorbereitungen traf, sah er Merritt einige Male auf der Straße, auf der Hoteltreppe oder in der Dawson Bar, doch irgendwie schien Merritt ihn nicht mehr zu erkennen. Zweimal hatte Jack versucht, ihn anzusprechen, doch seine Worte trafen auf taube Ohren. Nicht mit dem leisesten Zucken oder dem flüchtigsten Blick hatte Merritt ihn zur Kenntnis genommen. Jack kam sich bald vor wie ein Gespenst, das den gebrochenen Mann heimsuchte, und beschloss, ihn lieber in Ruhe zu lassen.
    Als er aber alle Vorbereitungen getroffen hatte und am nächsten Tag abreisen wollte, war Jack klar, dass er einfach nicht gehen konnte, ohne mit seinem Freund geredet zu haben. Merritt war irgendwie der Verstand abhanden gekommen. Er blickte immer ziellos in die Ferne, ohne die Welt um sich herum zur Kenntnis zu nehmen. Jack befürchtete, wenn er nichts unternahm, um Merritt in die Realität zurückzuholen, würdeer für immer verloren sein, genauso, als ob er in den Klauen des Wendigos gestorben wäre.
    Doch Jack war auch bewusst, dass seine bisherigen Bemühungen, zu Merritt durchzudringen, geradezu katastrophal gescheitert waren. Er beschloss, dass er im Beisein von jemandem, den Merritt erkannte, viel bessere Chancen hätte.
    Also fand er sich an diesem Montagnachmittag in der Tür des Redaktionsbüros der Stadtzeitung ein. Hal saß an einem improvisierten Schreibtisch und schrieb gerade etwas. Seine Finger waren voll Druckerschwärze aus der Druckerpresse, die hinten im Büro stand und momentan nicht im Betrieb war. Sein Hund Dutch lag auf dem Boden neben ihm und spitzte die Ohren, als Jack eintrat.
    »Ein hübsches Mädchen«, stellte Jack fest.
    Hal blickte auf und strahlte. »Jack!«
    Der Junge – nicht mehr wirklich ein Junge, wenn er es denn je gewesen war – sprang von seinem Stuhl hoch und stürmte auf ihn zu. Dutch hob den Kopf, beobachtete sie einen Moment und legte den Kopf wieder auf die Vorderpfoten in dieser unendlich gelangweilten Art, wie es nur Hunde hinkriegen. Doch Hal hatte genug Elan für zwei. Er streckte seine Hand mit so viel Begeisterung aus, dass Jack sie trotz Druckerschwärze schütteln musste. Doch dann fragte ihn Hal stirnrunzelnd:
    »Was für ein hübsches Mädchen meinst du?«
    »In der Sattlerei, blond, weiß wie Schnee …«
    »Sally Corrigan.«
    Jack nickte und bemerkte die leichte Röte, die Hal in die Wangen stieg, als er ihren Namen aussprach. »Sie hat mir verraten, wo ich dich finde. Du hast mir gar nicht gesagt, dass du jetzt für die Zeitung arbeitest.«
    »Erst seit kurzem«, erklärte Hal.
    Jack holte tief Luft und lächelte zögernd. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
    »Na klar, was gibt’s …?«
    »Ich reise morgen ab. Vorher möchte ich noch mal mit Merritt reden. Ich dachte, es hilft vielleicht, wenn du dabei bist. Ein Gesicht, das er erkennt.«
    Hal nickte, warf einen Blick auf seinen Schreibtisch und fischte dann nach einem Schlüssel in seiner Hosentasche. »Bleib, Dutch«, befahl er dem Hund, dann wandte er sich wieder an Jack. »Jetzt dürfte er schon in der Bar sitzen. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir ihn, bevor er zu besoffen ist, um überhaupt noch was zu erkennen.«
    Jack hatte sich schon gedacht, dass Merritt nicht der Einzige in der Bar sein würde, nicht an einem Ort, der so in Hoffnungslosigkeit erstickte wie Dawson. Aber es erstaunte ihn schon, wie voll die Kneipe um diese Uhrzeit war. Bier und Whisky flossen in Strömen. Sobald es Abend wurde und die Dunkelheit die verlorenen und die hoffnungsfrohen Seelen gleichermaßen daran erinnerte, wie weit sie von daheim weg waren, würde es noch viel voller werden und lauter zugehen. Jetzt waren immerhin schon fünfundzwanzig oder dreißig Gäste da.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher