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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Abstand zueinander, um zu verhindern, dass Fäulnis überspringen konnte. Marmelade- und Einkochgläser voller Zwetschken, Kirschen und Apfelmus standen neben Flaschen mit Knoblauch und Kräutern in Essig und Öl. In der Ecke, wo sauberes Gartenwerkzeug an der Wand hing, war Sand aufgeschüttet. Versteckt darin der Vorrat an Wintergemüse. Außer den Fahrrädern und Rollern, weiteren Leinensäcken und Pflanzkisten mit Keimlingen sah es aus wie jeden Spätherbst. Helen spürte ihr Bauchfell. Es zog plötzlich ein bisschen weniger als die letzten Wochen, ja durch die leichte Entspannung merkte sie erst, wie verkrampft sie war.
    Sie verließ den Raum, öffnete die Glastür zum Garten, der, zum Winterschlaf bereit, vor ihr lag. Nur Topinambur, Schwarzwurzeln, rote Rüben und Fenchel lagen unter den Heumulchen auf den Gemüsebeeten. Die brachen Stellen wurden liebevoll von Tannenzweigen verhüllt. Im hinteren Teil war die blassbraune Blumenwiese von einer zarten Schicht Raureif belegt. In ihrer Mitte der alte Nussbaum, an dessen Ästen welke Blätter und Nüsse hingen. Im Osten des Gartens schlängelte sich längs der Ziegelmauer ein niedriger Holzzaun und fasste einen kleinen Verschlag mit ein. Helen sah zwei Enten im Gras sitzen, ihre Schnäbel im Schlaf unter die Flügel gepresst. Muntere Hühner pickten der Mauer entlang und stießen langgezogene Kehllaute aus. »Hoffentlich Schnecken«, war Helens erster Gedanke, »hoffentlich keine Regenwürmer«, ihr zweiter.
    Sie setzte sich auf die Holzbank. Die gestutzte Glyzinie an der Pergola verströmte ihren herb-herbstlichen Duft. Neben dem alten, reifen Kompost, der großteils auf leeren Beeten aufgebracht worden war, war ein neuer mit zerkleinerten Ästen und Laub angelegt worden. Helens Blick blieb an ihrem Klohäuschen hängen. Sie musste vor Rührung auflachen. Wieder in ihrem Garten zu sein hatte sie sich die letzten Wochen dermaßen oft vorgestellt, dass sie kurz unsicher war, ob sie nun wirklich hier saß oder nur in ihrer Einzelzelle meditierte, um einen weiteren sinnlosen Tag hinter verschlossenen Türen auszuhalten. Eine Amsel landete am kahlen Holunderstrauch. Bei jedem verspielten Ton, den sie sang, wippten ihre Schwanzfedern nach unten.
    Hinter dem Gangfenster im 1. Stock trat Toni aus ihrer Wohnung. Gedankenverloren schaute sie in den Hof, entdeckte eine Frau auf der Parkbank und ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Sie klatschte ihre Handfläche auf die Glasscheibe und rief: »Helen!« Erst als die Frau auf der Bank winkte, wusste Toni, dass es wirklich ihre Freundin war. Sie lief die Stiegen hinunter, ungelenk, als hätte sie sich das Kreuz verrissen, lief auf Helen zu, fiel ihr um den Hals, presste sie an sich.
    »Warum hast du nicht gesagt, dass du heute rauskommst?«
    Helen überhörte den vorwurfsvollen Unterton. Toni löste sich von Helen, nahm ihren Kopf in beide Hände und versuchte die Erfahrungen der vergangenen Monate von Helens weißer Haut, den Augenringen, den Falten zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln abzulesen.
    »Du, für mich war es genauso überraschend. Meine Wärterin hat heute gemeint, ich soll mein Frühstück genießen, es wär mein letztes auf Staatskosten, und sie hat nicht gelogen.« Helen zuckte mit den Schultern. Sie verstand selbst nicht recht, wie sie nach all dem endlos untätigen Warten plötzlich wieder hier sein konnte.
    »Haben sie letztlich doch eingesehen, dass du nicht zur Terroristin taugst?«
    »Anscheinend.« Helen ließ ihre Hände auf die Oberschenkel fallen, als könnte erst dieses Patschgeräusch ihre Echtheit verbürgen.
    »Und? Wie geht’s?«, fragte Toni und hoffte, ihre Freundin würde sich besser fühlen, als sie aussah.
    »So gut wie noch nie. Man sollte jeden Tag entlassen werden.«
    Toni fasste Helen an den Oberarmen, drückte sie und bevor sich ihre Lippen wegen allzu großer Gefühlsaufwallung kräuselten, sagte sie: »Komm, setzen wir uns. Erzähl!«, als käme Helen gerade von einem Wandertag zurück.
    »Was soll ich dir erzählen? Sag mir lieber, wer den Garten betreut hat.«
    »Na
wir alle!
«, rief Toni stolz. »Alle vom Haus und ein paar meiner Freunde. Auch Roland, du erinnerst dich an ihn? Für die Holzbauten waren hauptsächlich Marianne und Erich zuständig, aber wir haben sie, wo nur möglich, unterstützt. Wir sind jetzt eine richtige Hausgemeinschaft.« Toni strahlte Helen an, und die merkte, wie sehr ihr diese Zuversicht abgegangen war. »Du kannst dir übrigens gar nicht
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