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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Zimmer, ziemlich nahe an ihr Bett. Langsame Schritte, Bewegungen, die Stoff aneinander reiben ließen. Ein Sessel wurde herangezogen, jemand setzte sich darauf. Helen hörte fremden Atem. Ihre Nase roch Haut, Seife, Körpercreme. Dem Geruch nach musste eine Frau neben ihr sitzen. Helen schlief wieder ein.
    Seit drei Wochen hatte sie nichts gegessen, die letzten Tage nichts getrunken. Sie war mit jedem Tag schwächer geworden, doch ihre Ungeduld hatte sich gesteigert. Wie lange würde es noch dauern? Wie lange musste sie hier noch liegen und darauf warten, bis ihr zähes Herz und ihre noch zähere Lunge endlich aufhörten, zu tun, was sie seit ihrer fünften Lebenswoche taten? Ihre Ungeduld war von Wut abgelöst worden. Helen hatte geglaubt, sie würde zu keinerlei Gefühlen mehr fähig sein. Glaubte, sie würde vertrocknen, von Tag zu Tag mehr vergehen, bis endlich Herz und Lunge stoppten. Aber nichts da. Die arbeiteten wie besessen. Pressten unerlässlich Blut und Sauerstoff durch ihren Körper, der daraus genügend Nährstoffe filterte, um am Leben und wütend zu bleiben. Sanft entschlafen wollte Helen. Entschlummern in angenehme Erinnerungen. Ein letztes Ausatmen, ein finales »Bumm-Bumm« des Herzens und die Sache wäre erledigt. Aber leider folgte ein »Bumm-Bumm« dem nächsten und ihre Lungenflügel spannten sich schon wieder auf, füllten sich mit Luft, wie der Blasebalg einer Beatmungsmaschine.
    »Funktioniert irgendwie nicht ganz, was? Geht nicht ganz auf, dein Plan, oder?«, sagte eine Stimme, die Helen kannte. Sie wollte die Stimme nicht hören und die Person zur Stimme nicht sehen. Helen wusste, beide würden ihr Unannehmlichkeiten bereiten. Sie würden nicht lockerlassen, nicht verschwinden. »Schon blöd, da frisst du nichts und krepierst trotzdem nicht. Vielleicht halten dich unerledigte Dinge zurück?« Die Stimme verhehlte nicht ihre unendliche Freude, Helen zu quälen. »Überschreib mir einfach dein Haus, vielleicht fällt’s dir dann leichter. Löse dich einfach von materiellen, irdischen Dingen.« Jetzt lachte die Stimme auf. »Guter Spruch, oder?« Helen dachte sich die Stimme als letzte Prüfung, zusätzlich zur Herz-Lungen-Tortur. Wie drei Plagen, die geschickt wurden, um zu klären, ob sie auch wirklich bereit für den Tod war.
    »Helen, so funktioniert das nicht.
Du kratzt nicht ab
. Du bist viel zu gesund. An dir zieht sogar die alljährliche Grippe-Epidemie unverrichteter Dinge vorüber. Eine kleine Fastenkur befördert dich niemals ins Jenseits. Sieh’s ein, du kannst dich nicht einfach schleichen.« Ihre Wut wollte Helen zu einer Widerrede anstacheln. Aber Helen wusste, wenn sie ruhig liegen bleiben würde, erledigte sich alles ganz von selbst. Ihre Entschlossenheit zeigte Erfolg. Die Person erhob sich und verließ den Raum. Helen kippte wieder weg.
    Mit einem plötzlichen Ruck saugte ihre Lunge gierig Luft an, ihr Herz pochte rasend, Helen riss die Augen auf. Als wollte sie Weltwunder sehen. Aber sie sah nur Toni, die freundlich lächelnd ein leeres Lavor vor sich hielt. Das eiskalte Wasser, das sich noch kürzlich darin befunden hatte, tropfte von Helens Kopf und Oberkörper.
    »Ist, als würde man den Reset-Knopf drücken, oder?« Toni stützte Helen den Rücken und half ihr, sich aufzusetzen. »Mach dir bloß keine Hoffnungen, du bekommst weder einen Herzinfarkt noch eine Lungenentzündung. Tut mir leid.« Toni reichte ihr ein Glas Wasser. Helen presste die Lippen fest aufeinander, drehte den Kopf zur Seite. »Trink oder ich kitzle dich, bis du um Gnade bettelst.« Helen hielt ihr Gesicht störrisch vom Wasserglas weg. »Deine Haut nimmt momentan ohnehin so viel Wasser auf, dass du in deinem erfolglosen Selbstmordversuch um Tage zurückgeworfen wirst.« Helen wollte Tonis Armen entkommen und sich auf das Bett gleiten lassen. »Okay, du willst es nicht anders.« Toni setzte das Glas ab. Sie stützte Helen von hinten mit ihrem Körper ab, griff ihr ins Gesicht, hielt ihr die Nase zu. Helen war zu schwach, um sich aus Tonis Umklammerung zu befreien. Nun hätte sie Gelegenheit gehabt, mit dieser verdammten Atmung aufzuhören. Sie hätte den Mund einfach geschlossen halten müssen, dann hätte sich ihre Lunge nicht mehr sinnlos mit Luft volllaufen lassen können. Aber Helens Mund lehnte sich, gleich wie Herz und Lunge, gegen ihren Willen auf. Er öffnete sich. Weit, gierig, bereit, so viel Sauerstoff und Wasser wie möglich aufzunehmen. Und Toni flößte ihr skrupellos den ganzen
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