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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition)
Autoren: Philip Lux
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dass ihr kaum Zeit blieb. Sie kaufte einen auffälligen roten Pullover mit der Aufschrift ,Latvija’ und eine dazu passende Schirmmütze.
    „Haben sie einen Hinterausgang?“, fragte sie den Verkäufer.
    „Dort“, und er zeigte auf eine Tür hinter dem Tresen.
     
    Auf dem Weg zum Bus liefen ihr zwei weitere Polizisten entgegen. Aufgeregt sprachen sie in ihre Funkgeräte. Laima zog den Schirm ihrer Mütze tiefer ins Gesicht und machte ihnen Platz.
    Dann stieg sie in den Bus.
    In der Stadt war ein Tourist das Unauffälligste, was es gab. Aber in den Randbezirken verhielt es sich genau umgekehrt. Sobald sie die Innenstadt verlassen hatte, zog sie die Sachen aus und stopfte sie neben sich in den Sitz.
    Laima fuhr nach Hause. So kam es ihr jedenfalls vor, wenn sie im Bus Nummer vierzehn Richtung Mezciems saß. Über zwanzig Jahre war es ihr Zuhause gewesen. Genau gegenüber lag die Gailezers Klinik, in der ihre Mutter arbeitete. Von der Nationaloper, wo ihr Vater als Bassbariton sang, nach Mezciems. Das war ihre Strecke. Der Bus kam zum Stehen. Der Verkehr staute sich. Sie standen im Wald. Es waren die Wälder ihrer Kindheit, die die Siedlung und die Klinik umgaben.
    Es ging nur langsam voran.
    Dann sah sie es, als der Bus aus dem Wald kam. Mitten auf der Kreuzung stand das Auto ihrer Mutter. Gerade zog ein Abschleppwagen es auf den Haken. Die Fahrerseite war völlig eingedrückt. Teile des Dachs waren herausgeschnitten. Blut. Überall Blut. Der Bus fuhr an und glitt an der Unfallstelle vorüber. Wie betäubt saß sie auf ihrem Sitz. Sie konnte es nicht begreifen.
     
    „Mezciems. Endstation, junge Frau. Hören sie mich?“
    Nur langsam drang die Stimme des Busfahrers in ihr Bewusstsein.
    „Aussteigen! Wenn ihnen nicht gut ist, gehen sie in die Notaufnahme. Die ist gleich dort drüben.“
    „Hatte ich sowieso vor“, antwortete sie abwesend.
     
    Das Krankenhaus kannte sie in- und auswendig. Durch die Notaufnahme ging sie zu den Fahrstühlen.
    „Laima!“
    „Vera.“
    Vera war die Oberschwester der Notaufnahme und ebenso lange wie ihre Mutter im Krankenhaus beschäftigt. Sie kannte Laima seit ihrer Geburt.
    „Ich war gerade bei deiner Mutter auf der Intensivstation. Es tut mir so leid. Wie konnte das nur passieren?“
    „Ich habe den Wagen gesehen. Sie wollte doch nur zur Arbeit.“
    „Aber sie hatte heute gar keinen Dienst.“
    „Jemand aus dem Krankenhaus hat doch angerufen und gesagt, es wäre jemand ausgefallen.“
    „Heute ist niemand ausgefallen.“ Vera schaute sie skeptisch an. „Und von uns hat niemand angerufen. Bestimmt nicht. Ich wüsste das, schließlich bin ich für die Diensteinteilung zuständig. In was ist deine Mutter da reingeraten?“
    „Reingeraten? Wie meinst du das?“
    „Vielleicht denkst du, ich spinne. Aber glaube mir, ich habe vierzig Jahre Kommunismus mitgemacht. Ich rieche Leute vom Geheimdienst hundert Meter gegen den Wind. Da oben ist dein Vater, aber vor der Tür stehen noch zwei andere Männer. Typ Tscheka. Die Tscheka gibt es zwar nicht mehr, aber ich könnte schwören. Sei bloß vorsichtig.“
    „Aber ich muss irgendwie zu meiner Mutter.“
    „Komm! Ich hab eine Idee.“
     
    Wenig später öffnete sich die Tür zum Krankenzimmer der Intensivstation und Vera schob ein frisch bezogenes Bett herein.
    „Du kannst jetzt rauskommen, Laima.“
    „Laima“, sagte ihr Vater verwundert.
    „Schrei nicht so, Papa. Von deinem Bassbariton fällt noch das ganze Krankenhaus zusammen. Danke, Vera. Auch wenn es hier unten etwas unbequem war, hat es gut geklappt.“
    Laima kletterte aus dem Gestänge des Bettes.
    „Hallo Mama“, sagte sie und nahm die Hand ihrer Mutter.
    „Sie sieht schlimm aus“, sagte ihr Vater. „Aber warum macht ihr hier so einen Zirkus? Was ist los?“
    „Ich gehe dann wieder“, sagte Vera, „sonst fällt denen da draußen noch auf, dass ich nicht wieder rauskomme.“
    „Die da draußen? Wer da draußen?“
    „Schrei nicht so! Danke, Vera.“
    „Nichts zu danken. Ich habe deiner Mutter zu danken. Mein Gott, ich rede schon so, als wäre sie tot.“
    Vera verließ schluchzend das Zimmer.
     
    „Du willst morgen wieder abreisen? Du bist doch gerade erst gekommen. Und was heißt, du weißt nicht, was die von dir und deiner Mutter wollen?“, fragte ihr Vater, nachdem sie ihm alles erzählt hatte.
    „Bist du sicher, dass du nichts mit den Drogen zu tun hast?“
    „Papa, bitte!“
    „Wenn die Polizei und die da draußen dich suchen, bist du nirgends
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