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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition)
Autoren: Philip Lux
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überhaupt dort war. Wenn niemand es wusste, konnte auch niemand etwas sagen. Langsam wurde sie auch paranoid. Hatte Professor Bersinsch sie angesteckt?
    Auf der Rückseite der Oper gab es ein Fenster. Sie hatte es zwar seit Jahren nicht mehr benutzt, aber es bestand die Chance, dass die wackeligen Schließen der Fenster ihr die Möglichkeit gaben, direkt in den Fundus der Oper zu gelangen. Während der Aufführungen ihres Vaters, die ihr endlos erschienen, hatte sie die Sammlung der merkwürdigsten Gegenstände in der Requisite bestens unterhalten.
    Es war ihr wie ein Wunderland erschienen. Alles gab es hier. Von riesigen Teddybären, die sie als Kind am meisten geliebt hatte, über unbeschreibliche Maschinen, Schaufensterpuppen mit veränderten Gesichtern, bis hin zu einem echten Cadillac.
    Einmal war sie in einem der Riesenteddys, der eine Mischung aus Kostüm und Maschine war, eingeschlafen. Ihre Mutter hatte ihrem Vater schreckliche Vorwürfe gemacht. Aber schließlich war sie am nächsten Tag selbst nach Hause gekommen und hatte ihren Eltern alles erzählt. Ab und an war sie auch durch das Fenster rausgeschlüpft und hatte am kleinen Kanal gespielt, wo sie eines der Schiffe, das sie gefunden hatte, an einer Schnur auf dem Wasser segeln ließ. Sie war immer zurück, bevor ihr Vater es merkte. Nur einmal hatte jemand das offene Fenster hinter ihr geschlossen. Sie hatte solange daran gerüttelt und gewackelt, bis die Griffe von alleine aufgegangen waren.
    Sie befand sich jetzt im Schatten der Oper. Die ständige Dämmerung der Weißen Nächte war hereingebrochen. Einige Passanten flanierten Eis essend am Kanal entlang. Ein Pärchen lag unweit von ihr auf dem abschüssigen Rasen am Wasser.
    Das Fenster war zum Glück nicht ausgetauscht worden. Laima breitete die Arme aus und presste die Hände gegen die Scheibe. Sie fing an zu drücken und zu wackeln. Wenn es zu fest geschlossen worden war, bestand keine Möglichkeit hineinzugelangen. Nichts bewegte sich, aber sie wusste, dass es eine Frage der Ausdauer war. Sie fühlte einen winzigen Spalt, der sich öffnete. Drinnen war es stockfinster. Nur die Griffe schimmerten matt im spärlichen Licht. Langsam bewegten sie sich. Es konnte nicht mehr lange dauern. Sie schaute sich um, ob jemand in ihre Nähe kam.
    Zwei Polizisten schlenderten ihr entgegen. Hektisch fing sie an, schneller zu wackeln. Immer schneller. Die Polizisten hatten sie noch nicht bemerkt, aber noch ein paar Schritte und sie mussten sie sehen.
    Panisch schlug sie gegen das Glas. Dann gaben die Griffe nach. Das Fenster flog auf. Die Scheibe zersprang mit einem lauten Klirren, als der Rahmen im Inneren gegen eine Wand schlug.
    „Was machen sie da?“
    Der Kegel einer Taschenlampe tastete nach Laima.
    „Polizei. Keine Bewegung! Bleiben sie, wo sie sind!“
    Laima sprang in die Tiefe. Scherben knirschten unter ihren Sohlen. Sie lief in die Dunkelheit. Das seichte Licht einer entfernten Notausgangsbeleuchtung war ihre einzige Orientierung. Die Regale standen unverändert. Sie bewegte sich auf das Licht zu. Der Schein der Taschenlampe flackerte jetzt wild durch den Raum, als der erste Polizist durch das Fenster stieg. Die Metalltür unter der Notausgangsbeleuchtung befand sich hinter einem Vorhang. Laima riss die Tür auf.
    „Stehenbleiben“, rief der Polizist zwischen den Regalen hindurch.
    Die Tür fiel zu.
    „Schnell, beeil dich doch. Ich glaube, es ist die Frau, die Eddis und Mikus abgehängt hat.“
    Es dauerte eine ganze Weile, bis beide zur Tür gefunden hatten und den Raum im Laufschritt verließen.
    Laima atmete hinter dem Vorhang auf. Dann tastete sie sich bis zum Bären, kroch in ihn hinein und fühlte sich endlich sicher.
     
    „Polizei. Kommen sie mit erhobenen Händen raus. Sie sind umstellt“, dröhnte eine tiefe Stimme.
    Laima schreckte hoch.
    „Kommen sie raus! Sie müssen zum Flughafen. Außerdem habe ich Hörnchen und Kaffee dabei.“
    „Mann, Papa, du findest das auch noch lustig“, sagte Laima und kroch aus ihrem Versteck.
    „Ich habe schon gehört, dass heute Nacht eingebrochen wurde. Wenn sie dich nicht gefunden haben, konntest du nur hier drin sein. Beeil dich, wir müssen uns noch fertig machen, bevor es zum Flughafen geht.“
     
    Es waren endlose schmale Treppen, die steil nach oben, nach unten, nach rechts und nach links, wie durch einen Ameisenbau führten. Schließlich kamen sie am Pförtner vorbei. Sie verließen die Oper durch den Künstlereingang, wo bereits ein Taxi
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