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Die Wesen (German Edition)

Die Wesen (German Edition)

Titel: Die Wesen (German Edition)
Autoren: Philip Lux
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anderes Ventil. Er fing Wespen. Sie waren träger und damit leichter zu erwischen als Fliegen. Seine Jagdmethode bestand darin, eine Deodorantdose, die er beim Pfarrer aus dem Badezimmer gestohlen hatte, zu benutzen, mit der er gegen die Flamme eines Feuerzeugs sprühte. Eine gefährliche Stichflamme entstand. Er hatte zufällig auf der Dose gelesen, dass dies hoch verboten war. Also wollte er es probieren.
    Er mochte Wespen nicht. Mehrfach war er auf sie getreten. Der schmerzhafte Stich. Dann das Gift in seinem Körper, gefolgt von Frösteln.
    Die Stichflamme versengte ihnen mitten im Flug die hauchdünnen Flügel, sodass sie aus ihrer Bahn gerissen, hilflos zu Boden fielen.
    Es erfüllte ihn mit Macht. Es gab ihm etwas zurück, was er schon lange nicht mehr hatte. Er sah zu, wie sie sich am Boden wanden. Wie sie versuchten, sich zu drehen. Die Stummel ihrer Flügel in Panik zitternd. Sie putzten ihre Fühler. Dann ein erneuter, längerer Strahl aus Feuer. Die Fühler verdampften. Es roch wie verbranntes Haar. Das schwarz-gelbe Insekt mit den bösen Augen wand sich wie ein Wurm. Dann zog sich der Panzer unter der Hitze zusammen und der giftige Stachel schob sich langsam aus dem Hinterteil. Es erinnerte ihn jedes Mal an den Pfarrer. Es war ein Genuss. Sein Höhepunkt.
     
    Als der Winter kam und die Wespen ausblieben, musste er etwas anderes finden. Es war eine alte Mausefalle auf dem Dachboden, die sein Interesse weckte. Eine Schlagfalle, die den Tieren das Genick brach. Mäuse gab es genug. Dauernd sah er sie über die Flure huschen. An den Wänden entlang. Er hatte Erfolg.
    Schnell verloren die toten Tiere allerdings ihren Reiz und sein Ziel bestand darin, Lebendfallen aufzustellen. Er beobachtete ihre Wege, ihre Gewohnheiten.
    Weibliche Mäuse ließ er frei, denn ihn interessierten lediglich Männchen. Er hatte festgestellt, dass, ähnlich wie bei den Wespen, die männlichen Mäuse, wenn man ihnen zum Beispiel die Luftzufuhr durch einen vorher eingeführten Schlauch abschnitt, im Moment des Todes eine Erektion bekamen. Dies übte eine noch größere Faszination auf ihn aus als bei den Wespen.
    Im darauffolgenden Sommer gab er sich nicht mehr mit Wespen ab. Auch die Mäuse weckten seine Leidenschaft nicht mehr. Er wollte es mit etwas Größerem versuchen.
     
    Doch dazu kam es vorerst nicht. Er wurde auf ein Eliteinternat geschickt. Damit hörte der Missbrauch durch den Pfarrer auf. Aber auch die Weiterentwicklung seiner eigenen Leidenschaften – seines Ventils. Lediglich in seinem Kopf gab es eine Fortsetzung.
    Wenn er des Nachts aus den Albträumen aufschreckte, die wie ein Destillat aus verdickten Körperflüssigkeiten waren, wachte er davon auf, dass sie ihn zu ersticken drohten. Dann lag er lange wach. Stellte sich die Wespen vor. Wie sie sich krümmten. Dann die Mäuse, wie sie langsam erstickten, mit ihren anschwellenden Penissen. Er stellte sich einen großen, bissigen Hund vor. Gefährlich, aggressiv, aber angebunden, den er langsam zugrunde gehen ließ. Vielleicht würde er im Moment seines Todes das erigierte Glied des Tieres in den Mund nehmen.
    Dann ging es ihm besser. Dann konnte er atmen. Meist schlief er erst gegen Morgen wieder ein.
     
    Eine Zeitlang fing er erneut an, Fallen zu bauen. Weniger der Tiere als des Fallenstellens wegen. Es erschien ihm eine elegantere Methode als bloßes Töten oder die Jagd an sich. Gewalt erschien ihm unnötig. Nur dann anzuwenden, wenn keine andere Lösung bestand.
    Er war ein unauffälliger, fleißiger Schüler. Zu den anderen hatte er kein Verhältnis. Sie mieden ihn. Bis auf einen, den er in die Welt des Fesselns und des lustvollen Leidens einführte. Als sie erwischt wurden, nahmen die Eltern ihren Jungen vom Internat.
    Er fing an, seinen Körper zu trainieren, seine Muskeln aufzubauen. Neben dem Training entwickelte er eine gewisse Leidenschaft für das Theaterspielen. Da er selbst keine Identität besaß, fiel es ihm leicht, sich in andere Rollen zu versetzen.
    Mehrfach hatte er versucht über seinen Vormund, Behörden und sogar einen Privatermittler herauszubekommen, wer seine Eltern waren. Auf der einen Seite sah er sie als eine Rettung an. Auf der anderen Seite verabscheute er sie für das, was sie ihm angetan hatten.
    Eines Nachts, als er wieder zu ersticken drohte, begriff er, was zu tun war. Er musste seinen Albträumen ein Ende machen.
    Er musste die Ursache seines Leidens wie mit einem Skalpell aus seinem Fleisch schneiden. Nacht für Nacht war er
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