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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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das Verborgene.
     Ich höre hin und vernehme nichts, ich nenne dies das Schweigende. Ich taste nach ihm und fasse es nicht, ich nenne es das
     Unverfügbare.« Keine dieser Erfahrungen enthält eine letzte Antwort. Doch sie fließen zusammen in der Frage, wieso das Universum
     sich der Mühe unterzog zu existieren. Also, warum Welt überhaupt ist und nicht nur ein Nichts. Wäre spirituelle Erfahrung
     nach Tao-Art, mystisches Inne-Sein, eine Form künftiger, vernünftiger Religion?
    Also, wollen sie zukunftsfähig bleiben, werden die irdischen Religionen ihren Lokalpatriotismus revidieren müssen. Die westlichen
     Religionen besonders. Doch auch sie hätten einen wichtigen Gedanken einzubringen: Die Perspektive der Entwicklung, der Evolution,
     ein Gedanke, der den östlichen Religionen fremd ist. Im Judentum, dem Christentum und Islam ist das zielgerichtete Denken
     zu Hause. Alle drei glauben an eine Entwicklung, in der sich ein Ziel realisiert. Für sie hat die Geschichte einen Anfang,
     der weiterführt in die Heilsgeschichte und sein Ziel in kosmischer Vollendung findet.
    Teilhard de Chardin, der französische Theologe und Naturwissenschaftler des vorigen Jahrhunderts, versteht die ganze kosmische
     Evolution als Heilsgeschichte. Als Prozess, der einem »Omega-Punkt« zustrebt, in dem sich die Schöpfung vollendet. Teilhard
     erinnert an die Mosesschar, die auf dem Weg durch die Wüste der Feuersäule Jahwes folgte. So sieht er Gott als Zug- und Anziehungskraft
     den kosmischen Prozess durchdringen. Durch Gottes Einfluss gestaltet sich die Materie seit dem Urknall immer beziehungsreicher,
     bis sie endlich beginnt, sich selbst zu organisieren: die Geschichte des Kosmos als Lernprozess, in dessen Verlauf die bisher
     blinde Evolution beginnt, ihre Augen aufzuschlagen und ihren weiteren Werdegang selbst zu bestimmen. An diesem universalen
     Prozess hat alles teil, vom kleinsten Elementarteilchen über die singenden Wale bis zum menschlichen Bewusstsein. Alles überschreitet,
     entwirft sich nach vorn, angezogen von der Zukunft Gottes, um sich in ihm zu vollenden.
    Gott, der Große Attraktor, spielt in dieser Entwicklung die Rolle eines Entwicklungshelfers. Mit den Worten von Augustinus
     gesagt: »Qui fecit te sine te, non te salvabit sine te.« Der dich geschaffen ohne dich, wird dich nicht vollenden |208| ohne dich! Diesen Gedanken führt Teilhard de Chardin konsequent weiter: In der kosmischen Evolution ist das emanzipatorische
     Interesse vorgegeben. Die Natur selbst kommt dem Mündigwerden des Menschen, seiner Ermündigung entgegen.
    Teilhards Theologie wird hier zur Religionskritik, zur Absage an das alte suggestive Gottesbild, nach dem ein höchstes Wesen
     unberührbar oben über den Menschen thront. Statt dessen setzt Teilhard auf religiöse Erfahrung, die in der Liebesfähigkeit
     ihre Herausforderung und Selbstüberschreitung sieht. »Statt des Droben zieht das Vorwärts an, um es zu bilden«, sagt auch
     Ernst Bloch. Die Liebe begibt sich auf Augenhöhe. »Sie bläht sich nicht auf«, so drückt es Paulus aus. Die Emanzipation ist
     ihr vorgegeben, wahre Liebe verträgt kein Über- und Untergeordnetsein, wie es das Bild eines thronenden Gottes suggeriert.
    Doch ist der Gott, den Teilhard de Chardin verkündet, überhaupt noch ansprechbar? Für unser Gefühl, für mein Gebet? Für Dank
     und Lob und für all die Fragen, die einem das Leben schwer machen? Gewiss, antwortet Teilhard. Gott ist zwar kein personales
     Wesen, doch er ist transpersonal, existiert über uns hinaus, als ultimativer Horizont aller Dinge: Gerade so bleibt er persönlich
     ansprechbar. – Und plötzlich erscheint mir alles ganz einfach. Ich spaziere doch auch durch die Träume unserer Katzenmamsell,
     und Kitti verständigt sich mühelos mit mir!
    Ich schließe mit einer Textcollage aus Zitaten des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, den ich mehrmals in diesem Buch
     zu Wort kommen ließ. »Die verschiedenen Religionen sind nur die verschiedenen Ansichten einer und derselben Sache«, notiert
     er in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen. Die Rede ist von Adam, der nach dem entsprechenden Gegenüber, nach seinem
     Platz im Kosmos, seiner Passung sucht. Bei Hegel klingt das so: Die treibende Kraft der Religion ist »der Schmerz über mich,
     dass ich als natürliches Wesen überhaupt unangemessen bin demjenigen, was ich zugleich als mein Wesen weiß«.
    Der Psychologe Sigmund Freud beschrieb die Religion als
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