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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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»Graeculi« der Neuzeit auf die beklemmende Mahnung des französischen Schriftstellers Paul Valéry, daß nämlich Europa nur ein »Kap Asiens« sei.
    *
    In dem vorliegenden Buch beabsichtige ich nicht, eine ausführliche Schilderung des Schwebezustandes vorzunehmen, in dem sich die heutige Mongolei befindet. Sie sieht sich umringt von der sogenannten Shanghai-Organisation, in der Rußland und China ein opportunistisches Zweckbündnis geschlossen haben. Die Mongolei ist – anders als die zentral-asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion – diesem lockeren Verbund nur als Beobachter beigetreten. Gleichzeitig pflegt sie ihre Beziehungen zu jener amerikanisch dominierten Gruppierung, die als Gegengewicht zur Einflußnahme Moskaus und Pekings eine De-facto-Allianz mit Japan, Südkorea und Taiwan eingegangen ist. Die folgenden Kapitel stellen sich wie ein Kaleidoskop dar und reihen eine Serie von Kommentaren, Fernsehdokumentationen und Interviews aneinander. Sie sind in chronologischer Reihenfolge ohne jede nachfolgende Berichtigung abgedruckt. Beim Blättern in früheren Notizen bin ich auf einen Text gestoßen, der – obwohl seine Niederschrift etwa zwanzig Jahre zurückliegt – überaus aktuell klingt.
    Â»Es geht um nichts weniger als um die Überprüfung der Pauschalbegriffe ›Menschenrechte‹ und ›Parlamentarische Demokratie‹«, schrieb ich damals. »Auf diese Grundwerte zivilisatorischen Zusammenlebens sollte in unserem christlich-abendländischen Kulturkreis niemand verzichten. Aber die Übertragung dieser westlichen Postulate auf die völlig andersgeartete Staatenvielfalt der sogenannten Dritten Welt verkommt meist zum Zerrbild. Die wirtschaftlich oder strategisch motivierte Heuchelei, eine opportunistisch selektive Einforderung dieser hohen Prinzipien würden von den Betroffenen oft und zu Recht als eine neue Form arroganter Überfremdung, ja des Neo-Imperialismus empfunden.«
    Â»Die Debatte ist angebracht«, so fuhr ich fort, »ob die repräsentative Demokratie, eine Tochter des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, nicht ihre Glanzzeit – selbst in Europa und Amerika – hinter sich hat, seit die Omnipräsenz der audio­visuellen, aber auch der Printmedien einer betrüblichen Nivel­lierung der Meinungs- und Informationsvermittlung Vorschub leistet. Unter dem Druck dieser kollektiven Stimmungsmache, die unseren Volksvertretern oft mehr Furcht einflößt als die Gesinnungsschwankungen ihrer Wähler, könnte der klassische Parlamentarismus eines Tages ersticken oder zum Formalismus werden.«
    Seitdem hat eine rasante Fortentwicklung der Elektronik eingesetzt, deren Folgen noch unabsehbar sind. In ihrer umwälzenden Bedeutung hat sie die Erfindung der Buchdruckerei weit hinter sich gelassen und das Tor zu einer unberechenbaren Zukunft aufgestoßen. Seinerzeit erlaubte die Technik Guttenbergs, den Wissens- und Bildungskreis, der bislang auf eine geringe Anzahl von Gelehrten, vornehmlich Kleriker, begrenzt war, auch auf die breiten Volksmassen auszudehnen, was zunächst der rapide um sich greifenden Reformation Luthers und Calvins zugute kam. Heute existiert ein System der totalen Transparenz, die die Schreckensvisionen Orwells in seinem Buch »1984« überflügelt. Es gibt neuerdings keine Privatsphäre mehr, in die man sich flüchten könnte. Die Entwicklung zur absoluten Überwachung – befördert durch den eigenen Hang zum Exhibitionismus, dem nicht nur die sogenannten Prominenten verfallen, sondern in dem sich auch die bedeutungslosen Benutzer von Facebook und Internet zu profilieren suchen – wird gesellschaftliche Verlagerungen nach sich ziehen, die zur Stunde noch unsere Vorstellungskraft überfordern. Schon prophezeien kluge Analytiker eine Verdrängung des Menschen durch die Automatik der Maschinen, eine Vision, die sich bereits zur Zeit der Industrialisierung – als Gerhart Hauptmann »Die Weber« schrieb – ankündigte, die jedoch demnächst in eine Ära der Roboter einzumünden droht.
    Der französische Autor André Malraux hatte im Hinblick auf den technischen Durchbruch des 19. Jahrhunderts die Meinung vertreten, daß Napoleon Bonaparte noch mit vergleichbaren Methoden und Konzepten seine Verwaltung ausüben und seine Schlachten schlagen konnte wie der ägyptische Pharao Ramses II. Diese
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