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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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der persönlichen Bereicherung, die als Zeichen göttlicher Erwähltheit, der »predestination«, gedeutet wurde, setzte eine strenge puritanische Grundhaltung voraus. Die Kreativität dieser Wirtschaftsform, die Max Weber beschrieben hat, ist spätestens im vergangenen Jahrzehnt durch das frivole Spekulationsfieber der Börsen-Jobber und jene betrügerischen Zocker verdrängt worden, die sich als »masters of the universe« aufspielten und die düstere Lehre des Genfer Reformers durch einen ausschweifenden Hedonismus ersetzten.
    Wieder lasse ich einen amerikanischen Kommentator zu Wort kommen: »The two M’s – Money and Me – became the loadstone of the Zeitgeist and damn these distant wars« – so schreibt Roger Cohen. Die beiden M’s – Geld und Ich – wurden zum Magnetpol des Zeitgeistes – und zum Teufel mit diesen weit entfernten Kriegen!« Gemeint sind wohl die gescheiterten Feldzüge im Irak und in Afghanistan.
    Mit Kompetenz und Erbitterung meldet sich der Banker Greg Smith zu Wort, der seinen Rücktritt von dem höchst einträglichen Job als »executive director« von Goldman Sachs wie folgt erklärt: »Es macht mich krank zu hören, wie verächtlich unsere Banker darüber reden, wie sie ihre Kunden ausplündern. Ich habe fünf führende Direktoren in den vergangenen zwölf Monaten getroffen, die ihre Kunden als ›muppets‹ bezeichneten. Von ›integrity‹ ist keine Rede mehr. In den ver­gangenen Tagen lautete die häufigste Frage, die von Junior-Analysten über die Bearbeitung von Derivaten an mich gerichtet wurde: Wieviel Geld könnten wir unseren Kunden aus den Taschen ziehen?«
    Da mutet es eigenartig an, wenn die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton in Ulan Bator noch im Juli 2012 unverdrossen und überheblich den Lobgesang des »american way of life« anstimmte. Den Erben Dschingis Khans rief sie zu, daß wirtschaftliche Liberalisierung nicht ohne politische Liberalisierung zu haben sei. Sie widersprach energisch der wohlwollenden Despotie des großen Staatsmannes Lee Kwan Yew, der den Einwohnern seines Stadtstaates Singapur mit konfuzianisch anmutender Autorität einen Wohlstand verschaffte, der das Lebensniveau des durchschnittlichen Amerikaners weit hinter sich läßt. Lee Kwan Yew, der von Helmut Schmidt aus guten Gründen geschätzt wird, hatte nämlich behauptet, daß die demokratischen Werte des Westens nur für die westliche Gesellschaft tauglich seien.
    Hillary Clinton berief sich bei ihrem Referat im Land des gefürchteten Großkhans auf die dubiose Nichtregierungs-organisation »Freedom House«, als sie behauptete, in den vergangenen fünf Jahren sei Asien die einzige Weltregion gewesen, die ständige Gewinne an politischen Rechten und Bürgerrechten zu verzeichnen hatte. Welche Staaten sie damit gemeint hat, bleibt für den Kenner Ostasiens unerfindlich. Vermutlich wollte sie nicht auf das abscheuliche Beispiel der Philippinen verweisen, wo die Formalien amerikanischer Demokratie getreulich kopiert, besser gesagt, karikiert wurden. Im Gegensatz zu den benachbarten kommunistischen Regimen des Festlandes bleiben die darbenden Massen zwischen Luzon und Mindanao unter der Tarnung eines zynisch manipulierten Wahlzirkus weiterhin der Willkür einer ausbeuterischen »Rosca« ausgeliefert. Daß noch im April 2012 der ehemalige mongolische Staatspräsident Enkhbayar unter Anklage horrender Korruption verhaftet wurde, hat Hillary Clinton wohlweislich nicht erwähnt.
    Wenn die heutige Mongolei ihre Hauptstadt zu einem architektonischen Monstrum ausbaut, die Hälfte aller Staatsbürger dort bereits im Schatten der Geschäftshochhäuser aus Glas und Stahl zusammengedrängt sind und in ihren planlosen Jurtensiedlungen dennoch ein halbwegs erträgliches Leben führen können, so ist das dem ungewöhnlichen Reichtum dieses Landes an Kohle, Uranium, Gold, Kupfer und Seltenen Erden zu verdanken. Um die Ausbeutung dieser Bodenschätze stehen die amerikanischen Konzerne bereits in erbittertem Widerstreit mit den chinesischen Investoren, womit sich wohl auch das Loblied der US-Außenministerin auf die demokratischen Tugenden dieser Steppenreiter erklären läßt. Von dem Wettbewerb hat eine Anzahl cleverer einheimischer Spekulanten profitiert und ein System der Oligarchie
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