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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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genau zwischen uns. Jetzt beginnt der eigentliche Spaziergang.
    Ich zeige auf Kopenhagen.
    Er: »Eine schöne Stadt.«
    Mehr fällt ihm nicht ein?
    Â»Ich bin überzeugter Europäer, aber ich war immer gegen diese Erweiterung.«
    Gut, dann weiter weg: Nordkorea?
    Â»Dort war ich erst vor vier Jahren. Eine gespenstische Vision, man fühlt sich in einer anderen Welt, total fremd. Ich bin zur Demarkationslinie gefahren, habe nach Südkorea geblickt. Die Nordkoreaner wußten nicht, daß ich schon einmal auf der anderen Seite gestanden habe, 1952.«
    Er zeigt auf Mali.
    Â»In der Hauptstadt Bamako hatte ich in den 80er Jahren ein sehr seltsames Erlebnis. Innerhalb eines Tages habe ich überraschend drei Menschen wiedergesehen: einen Libanesen, bei dem ich gewohnt habe, einen korsischen Offizier, den ich aus Indochina kannte – und eine Französin, die meine Doktorarbeit abgetippt hat.«
    Fünf Nationen in einem Satz. Rekord. Ich zeige auf Venezuela.
    Â»Auch dort war ich erst vor kurzem. Ein sehr mitteilsamer Indianer hat mich mit einer kleinen Propellermaschine in die grüne Hölle an den Orinoko geflogen. Er hielt gerade auf eine Steilwand zu und hat das Flugzeug erst im letzten Moment abgedreht. Ich dachte damals, das war’s.«
    Heute ist für Peter Scholl-Latour der Tod ein »normaler Akt«, auch wenn er nicht gern auf Beerdigungen geht. »Das ist lästig, dieses Rumstehen in der zugigen Luft.« Er selbst wäre beinahe sehr früh gestorben. Im Jahr 1945 geriet er im heutigen Slowenien in Gestapo-Haft, wurde von Graz nach Prag überführt, selbst als Häftling ein Reisender. Er wurde nach Berlin geschickt. »Das wäre mein Tod gewesen.« Ausgerechnet Flecktyphus rettete ihm das Leben, er mußte nach Graz zurück. Scholl-Latour nennt die Zeit »Stahlbad«, er habe in Abgründe geblickt. »Da sehen Sie, daß das Böse existiert.« Ein Wärter in Prag kam mit einem Teller in die Zelle: »Hier, wir haben einen Juden geschlachtet.«
    Hat er Menschen gehaßt?
    Â»Nein. Auf einige war ich sehr böse, aber gehaßt, nein.«
    Hat er Menschen getötet?
    Â»Ja, aber darüber spricht man nicht.«
    Warum nicht?
    Â»Es gehört sich nicht.«
    Für ein Land haben wir noch Zeit. Er nimmt seinen Kaffeelöffel zur Seite und tippt auf Neuseeland. Dort, am anderen Ende der Welt, wohne sein Sohn Roman. »Er hat mit seiner Frau zweimal die Erde umrundet und dann eine Farm aufgebaut.« Peter Scholl-Latour war kürzlich dort. Schön sei es da, und das Haus liege ganz in der Nähe einer heiligen Stätte der Maori. Sein Sohn hat den schwarzen Gürtel in Taekwondo und gibt den »Eingeborenen« Unterricht. Streit hätten die beiden nur einmal gehabt, wegen der langen Haare des Sohns. Der Vater gab damals klein bei. »Aber inzwischen hat er wieder kurze Haare.« Auf lange Sicht hat Peter Scholl-Latour gewonnen.
    Von seinem Sohn hat er viel über das Internet gelernt, das ihm aber noch immer suspekt ist, eine E-Mail-Adresse hat er nicht. Ein Freund hatte ihm abgeraten: »Da kommt nur Mist.« Skeptisch ist er auch bei Facebook (»Da lesen auch Diktatoren mit«) und dem iPad (»Wie ist es da mit Autorenrechten?«). Zum ersten Mal sagt der 87jährige, der im Herbst Soldaten in Afghanistan bei ihrer Patrouille begleitet hat: »Dafür bin ich zu alt.«
    Auf dem Weg zurück wird er noch einmal von Passanten erkannt: Sie wollen ihm ihre Bewunderung aussprechen. Er nickt und sieht aus, als wäre er lieber in Algerien. Im engen Fahrstuhl frage ich ihn, ob er noch Arabisch spricht. Seine Antwort klingt ungefähr so: »Bismi lahi rahmani rahim, al-hamdu li-lahi rabbi l’alamin, Ar-rahmani r-rahim Maliki yaumi d-din.« Es ist die erste Sure des Korans, der Text ruft Gott an, zu helfen, den geraden Weg im Leben zu finden. Muslime beten so für die Seelen der Verstorbenen.
    Als er die Tür öffnet, steht Eva Scholl-Latour in ihrer Militärhose da und sagt: »Du kannst Gott danken, daß deine liebe Frau hier war.« Ein Kurier habe etwas abgegeben. Peter Scholl-Latour murmelt, grummelt, brummt: »Wir haben doch einen Briefkasten.« Was er danach sagt, ist dann doch schwer zu verstehen, aber es klingt wie: »Danke.«
    Â»Ich war nie Pazifist«
    Gespräch, 30. 09. 2007 4
    Schon als Jugendlicher sollen Sie davon geträumt haben, Entdecker und
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