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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Südchina lebt. Aber er hat Miao auch in Minneapolis getroffen. Die Miao sind überall.
    Der Fahrstuhl ist so eng, daß nur gute Freunde entspannt nebeneinander die vier Stockwerke hinter sich bringen. Ich lenke auf ein weit entferntes und für ihn so naheliegendes Thema: die arabische Revolution. »Ich hätte nicht gedacht, daß es in Tunesien beginnt«, sagt er sofort. »Die Tunesier sind eigentlich ein friedliches Volk.« Das Wichtige an der Revolution sei, daß die Aufständischen eine Partei gründen. Es fehlten die Anführer, auf dem Land die Unterstützung für den Aufstand. Sein letzter Satz: »Und die Libyer müssen sehen, daß sie keine somalischen Verhältnisse bekommen, nich wahr.«
    Mindestens zwei Länder in einem Satz und ein »nich wahr« am Ende – das war sein Markenzeichen in Talkshows. Doch Peter Scholl-Latour ist sonst nicht wie im Fernsehen, spricht viel deutlicher, schaut nicht vor sich hin, sondern immer in die Augen – und sagt eben nicht mehr »nich wahr«. Unser erstes Ziel ist der Zeitungsladen an der Nestorstraße, hundert Meter entfernt. Draußen greift er zur »International Herald Tribune« (Titelthema: Syrien), zur »Frankfurter Allgemeinen« (Libyen) und zur »Bild« (Kachelmann). »Guten Morgen, Herr Scholl-Latour«, sagt drinnen die Verkäuferin. »Wie immer 5,70 Euro.« Er hält ihr die hohle Hand hin, sie nimmt Münzen daraus. Zu dem »Bild«-Titel fällt ihm ein, daß er den Wettermoderator schon aus der Schweiz kannte. »Ich habe ihn als angenehm in Erinnerung, höflich, zurückhaltend.« Zu den Vorwürfen sagt er nichts. Klatsch interessiert ihn nicht. Auch das Interview mit Horst Köhler, das auf der »Zeit« beworben wird, will er sich nur vielleicht durchlesen. Zu dessen Abgang sagt er: »Mein Gott, so was muß man doch aushalten können.«
    Kritik an seiner Arbeit ist Scholl-Latour lange gewöhnt. Manche seiner Bücher sind unter Wissenschaftlern umstritten, die »taz« nannte ihn »Steinzeitjournalist« und hat ihm eine veraltete Weltsicht vorgeworfen. Doch solche Kritik berührt ihn nicht. Warum soll man nicht einmal mehr »Eingeborener« schreiben dürfen? »Die Deutschen sind verrückt. Das ist doch ein normales Wort.« Heute schreibt er hin und wieder für die »Junge Freiheit«, ein Wochenblatt, das zur »Neuen Rechten« gezählt wird. »Das sind sehr höfliche junge Männer«, sagt er, »aber politisch bin ich nicht auf ihrer Linie.« Er habe sich auch mit Gregor Gysi gut verstanden.
    Mit den Zeitungen in der Hand läuft er vorbei an einem schnauzbärtigen Mann, auf dessen Weste bunte Touristenaufnäher aus Brasilien und Indien kleben. Der Mann bleibt stehen und geht auf Peter Scholl-Latour zu. »Bleiben Sie schön gesund«, sagt er und klopft ihm auf die Schulter. Scholl-Latour brummt: »Ja, das machen wir.« Der Mann blickt ihm hinterher, als habe er der Weltgeschichte persönlich auf die Schulter geklopft.
    Peter Scholl-Latour ist wohl genau das für viele Deutsche. Seit den 60er Jahren hat er für Zeitungen geschrieben sowie Filme und Nachrichtenbeiträge aus Kriegsgebieten moderiert. Nicht nur in Charlottenburg wird er erkannt, sagt er, auch in Teheran, Damaskus und Beirut gibt es Taxifahrer, die von ihm kein Geld nehmen würden. Für viele Fernsehzuschauer war er jahrzehntelang das Tor zur Welt. Sicher auch, weil es beruhigend ist, jemanden zu sehen, der nicht »Es könnte so oder so kommen« sagt, sondern: »Das habe ich doch genau so vorausgesagt.«
    Nach ein paar Metern bleibt Peter Scholl-Latour wieder stehen. Sein Telefon klingelt. Umständlich fummelt er sich am Ohr herum, murmelt »Scheißhörgerät«, dreht sich zur Seite. Die Frequenzen der Geräte vertragen sich nicht, und es fiept laut, während er spricht. Er sagt: »Jaja« und »Ich dachte da an etwas mit ›Flächenbrand‹«. Er legt auf, steckt sein Hörgerät ins Ohr und grummelt, das sei sein Verleger gewesen. Es geht um das neue Buch, das auch von der arabischen Revolution handeln wird. Seine Biographie will er schreiben, wenn er im Rollstuhl sitzt. Der Vertrag sei fertig, das Vorwort auch.
    Im Restaurant angekommen, wird er wie ein alter Freund begrüßt. Bevor sein Spiegelei kommt, lege ich die Weltkarte auf den Tisch. Europa liegt
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