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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Forschungsreisender zu werden. Wie kamen Sie auf die Idee?
    Das habe ich meinem Vater zu verdanken. Als ich elf Jahre alt wurde, hatte ich schon alle Bücher von Karl May gelesen und war gerade in die Schmöker von Edgar Wallace vertieft. Da meinte mein Vater, es wäre an der Zeit, etwas Vernünftiges zu lesen, und gab mir Bücher über Entdeckungsreisen von Henry Morton Stanley, Sven Hedin und der spanischen Conquistadoren. Diese Bücher haben mich fasziniert, und ich träumte davon, selber Entdecker zu werden. Die Neugier auf fremde Welten ist vielleicht der Grund, warum es mich so oft in Krisenherde gezogen hat. In extremen Situationen kehrt ein Land zu einer gewissen Ursprünglichkeit zurück. Da trifft man dann keine Touristen mehr, sondern kann noch wirkliche Entdeckungen machen. Wenn man beispielsweise am Tanganjikasee in Afrika mit den Maj-Maj-Kriegern konfrontiert ist, die immer noch glauben, das Wasser von Zauberern bilde ein Schutzschild gegen Kugeln, kommt man sich wie in der Steinzeit vor.
    Von 1936 bis 1940 haben Sie ein strenges katholisches Jesuitenkolleg besucht. Waren das für Sie furchtbare oder spannende Jahre?
    Dort herrschten wirklich äußerst strenge Regeln. Wir machten regelmäßig Exerzitien und wurden besonders nach den Ferien richtig in die Mangel genommen. Trotzdem habe ich die Geistlichen sehr geschätzt und sogar ihre Strenge in angenehmer Erinnerung behalten. Ich glaube, ich habe mich dort geborgen gefühlt.
    1945 haben Sie versucht, sich der Partisanenarmee im damaligen Jugoslawien anzuschließen. Was hat Sie zu diesem Vorhaben bewogen?
    Ich wollte mich nicht Tito anschließen – ich habe zu keiner Zeit meines Lebens Sympathien für die Kommunisten gehegt –, sondern ich wollte einfach aus Deutschland raus! Ich hatte zuvor bereits zweimal versucht, im Westen über die Grenze zu kommen, aber beide Male ging es schief. Darum versuchte ich es beim dritten Mal an der slowenischen Grenze. Aber dort wurde ich von der Gestapo aufgegriffen. Sie brachten mich nach Prag in das Gefängnis des SS-Sicherheitsdienstes. Das war die Hölle. Was ich dort sah, war grauenhaft. Alles, was danach in meinem Leben passierte, war dagegen die reinste Erholung. Dann kam die russische Oder-Offensive, und es hieß: »Alle wieder an den Ausgangspunkt zurück.« Also wurden alle Gefangenen von Prag abtransportiert, und ich landete im Gestapo-Gefängnis von Wien. Als ich in die Zelle kam, schlug mir ein Mithäftling auf die Schulter und sagte: »Mein Name ist Stefan Gynrek, du bist hier in der Wiener Intelligenzzelle.« Er war ein gestandener Kommunist, der dann auch versuchte, mich zum Kommunismus zu bekehren. Das hat er nicht geschafft. Statt dessen infizierte ich mich mit Flecktyphus.
    Das hätte tödlich ausgehen können.
    Von Flecktyphus sagt man: Entweder man stirbt daran, oder man wird verrückt. Ich habe eine dritte Lösung gefunden und bin gesund geworden. Sie brachten mich dann in ein Lager nach Graz, wo ich mehrfach zusammengebrochen bin. Da am Ende des Krieges alles nicht mehr ganz so streng war, wurde ich in ein Krankenhaus eingeliefert und kam zu den Nonnen vom Orden des heiligen Vinzenz von Paul. Als ich die Vinzentinerinnen mit ihren weißen Flügelhauben sah, war ich ein glücklicher Mensch. Die Schwestern meinten, sie hätten noch nie einen solchen Kranken wie mich gesehen. Ich war todkrank – und lächelte die ganze Zeit. Eine der Schwestern gab mir jeden Abend ihr Abendessen, damit ich wieder zu Kräften käme.
    Wann war das?
    Das war im April 1945. Ich war noch im Krankenhaus, als in der Zeitung die große Schlagzeile »Der Führer ist gefallen« zu lesen war. Um den Artikel herum war ein großer schwarzer Rand. Im Rundfunk wurde das Deutschlandlied in der elegischen Fassung von Joseph Haydn gespielt. Das war schon sehr ergreifend. Dann folgte der Rückzug der SS-Division Wiking, die bis dahin die ungarische Front gehalten hatte. Sie zog in perfekter Ordnung ab. Damit war der Krieg zu Ende. Ich bekam dann von französischen Besatzern einen Stempel in meine Papiere und sollte eine kleine Truppe Franzosen zurück nach Frankreich führen. Dort meldete ich mich beim Militär.
    Von 1945 bis 1947 zogen Sie als Fallschirmjäger für Frankreich in den Indochina-Krieg. Warum wollten Sie so kurz nach Ihrer Genesung in den Krieg ziehen?
    Ich war nie Pazifist. Ich wollte
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