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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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damals gegen Japan kämpfen und habe mich deshalb freiwillig zum Militär gemeldet. Ich wurde dann gefragt, ob ich auch nach Indochina gehen würde, was ich bejahte. Die Entdeckung Indochinas wurde für mich zu einem großen Abenteuer. Indochina war damals noch völlig unberührt, es war eine exotisch-asiatische Welt, wie man sie sich eigentlich nur erträumen kann. Ich war in einer Spezialeinheit. Wir hatten nicht die Macht der Amerikaner, sondern mußten andere Taktiken anwenden. Das hat mir im Hinblick auf das heutige Kriegsgeschehen und die asymmetrische Kriegsführung viel geholfen. Außerdem waren die Frauen sehr schön! Es war auch ein erotisches Abenteuer.
    Ab 1948 haben Sie dann in Mainz und Paris studiert.
    Das stimmt so nicht. In Mainz war ich nur ein einziges Mal mit meinem Vetter in einer Vorlesung. Seitdem steht aber in allen meinen Biographien, daß ich in Mainz studiert hätte. In Paris hingegen habe ich wirklich studiert und am Institut National des Sciences Politiques – das ist immerhin eine der Grandes Écoles – mein Diplom in Politikwissenschaft gemacht. Im Anschluß daran habe ich an der Sorbonne promoviert.
    Während Ihrer Zeit in Paris unternahmen Sie eine illegale Reise durch die Sowjetische Besatzungszone. Ihre Erlebnisse schrieben Sie in einem Artikel für die Tageszeitung »Le Monde« nieder. Ist es korrekt, daß Sie aufgrund dieses Artikels ein Volontariat bei der »Saarbrücker Zeitung« bekamen?
    Ganz am Anfang meiner Pariser Zeit hatte ich sehr wenig Geld. Mein Sold vom Indochina-Krieg war noch nicht ausgezahlt worden, es ging mir wirklich dreckig. Ich habe dann diese Reise durch die Sowjetische Besatzungszone unternommen. Das hat damals niemand gemacht, schon gar kein Franzose. Ich besuchte alte Schulfreunde, von denen zum Beispiel einer Stalingrad überlebt hatte. In Görlitz wurde ich verhaftet. Ich hatte aber meine Papiere gut vorbereitet, so daß ich nach dem Verhör aus Bautzen wieder rauskam. Zurück in Paris, schrieb ich dann einen Artikel über meine Erlebnisse während der Reise. Den Text bot ich verschiedenen Zeitungen an, aber keine wollte ihn. In meiner Verzweiflung ging ich dann zu der Zeitung, die ich am meisten verehrte: »Le Monde«. Der Redakteur, der für die Deutschlandpolitik verantwortlich war, sagte: »C’est très interessant« – »Das ist sehr interessant.«
    Der erste Artikel, den ich je geschrieben habe, erschien dann tatsächlich auf der ersten Seite von »Le Monde«. Ich dachte mir daraufhin: »Mit dem Pfund kannst du wuchern«, und ging nach Saarbrücken zur »Saarbrücker Zeitung«, wo ich sofort als Volontär engagiert wurde. Daß ich eine strenge katholische Erziehung genossen hatte, sprach auch für mich. 5
    Seitdem sind Sie Journalist. Von 1954 bis 1956 waren Sie Regie rung ssprecher des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Das Saarland war damals als Saarprotektorat eine autonome Region, Sie setzten sich intensiv dafür ein, daß es weiterhin autonom blieb. Warum?
    Ministerpräsident Johannes Hoffmann führte Anfang der 50er Jahre ein autonomes Saarland in Wirtschaftsunion mit Frankreich. Das Saarland mußte nach dem Krieg ja irgend­wie klarkommen, und die Franzosen boten aufgrund ihrer ­einigermaßen stabilen Wirtschaftslage einige Vorzüge. Hoffmanns eigentliches Ziel war es, dem Saarland zu einer be­sonderen Rolle in Europa zu verhelfen. Persönlich hatte ich keine sehr enge Beziehung zu ihm – er war der Urtyp eines ­katholischen Bergmannssohns aus dem Saarland. Aber er war ein intelligenter Mann und kein Separatist. Unsere Wunschvorstellung war eine Art »District of Columbia«. Ein großer Teil der europäischen Behörden sollte nach Saarbrücken kommen.
    Ich war von dieser europäischen Lösung begeistert. Es wurde sehr lange verhandelt, und meine Aufgabe auf seiten der Regierung war es, als Pressesprecher diese Idee aktiv in der Öffentlichkeit zu vertreten. Wir dachten damals, die Partie sei gewonnen, aber bei der Volksabstimmung 1955 stimmten dann zwei Drittel der Saarländer für die Rückkehr des Saarlands nach Deutschland. Das Nationalgefühl im Saarland war eben doch stark – die jungen Männer hatten ja alle in der Wehrmacht gedient. Heute würden sich die Saarländer wahrscheinlich mit einer großen Mehrheit
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