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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Autoren: Arthur Schopenhauer
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da die Erhaltung des Geschlechts der Auerochsen nicht mit Menschenleben erkauft werden darf. Neben der Große des zu verhütenden Schadens kommt, bei Bestimmung des Maaßes der Strafe, die Stärke der zur verbotenen Handlung antreibenden Motive in Betracht. Ein ganz anderer Maaßstab würde für die Strafe gelten, wenn Buße, Vergeltung, jus talionis , der wahre Grund derselben wäre. Aber der Kriminalkodex soll nichts Anderes seyn, als ein Verzeichniß von Gegenmotiven zu möglichen verbrecherischen Handlungen: daher muß jedes derselben die Motive zu diesen letzteren entschieden überwiegen, und zwar um so mehr, je größer der Nachtheil ist, welcher aus der zu verhütenden Handlung entspringen würde, je stärker die Versuchung dazu und je schwieriger die Ueberführung des Thäters; – stets unter der richtigen Voraussetzung, daß der Wille nicht frei, sondern durch Motive bestimmbar ist; – außerdem ihm gar nicht beizukommen wäre. – Soviel zur Rechtslehre. –
    In meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens habe ich (S. 50 ff.) die Ursprünglichkeit und Unveränderlichkeit des angeborenen Charakters, aus welchem der moralische Gehalt des Lebenswandels hervorgeht, nachgewiesen. Sie steht als Thatsache fest. Aber um die Probleme in ihrer Größe zu erfassen, ist es nöthig, die Gegensätze bisweilen hart an einander zu stellen. An diesen also vergegenwärtige man sich, wie unglaublich groß der angeborene Unterschied zwischen Mensch und Mensch ausfällt, im Moralischen und im Intellektuellen. Hier Edelmuth und Weisheit; dort Bosheit und Dummheit. Dem Einen leuchtet die Güte des Herzens aus den Augen, oder auch der Stämpel des Genies thront auf seinem Antlitz. Der niederträchtigen Physiognomie eines Andern ist das Gepräge moralischer Nichtswürdigkeit und intellektueller Stumpfheit, von den Händen der Natur selbst, unverkennbar und unauslöschlich aufgedrückt: er sieht darein, als müßte er sich seines Daseyns schämen. Diesem Aeußern aber entspricht wirklich das Innere. Unmöglich können wir annehmen, daß solche Unterschiede, die das ganze Wesen des Menschen umgestalten und durch nichts aufzuheben sind, welche ferner, im Konflikt mit den Umständen, seinen Lebenslauf bestimmen, ohne Schuld oder Verdienst der damit Behafteten vorhanden seyn könnten und das bloße Werk des Zufalls wären. Schon hieraus ist evident, daß der Mensch, in gewissem Sinne, sein eigenes Werk seyn muß. Nun aber können wir andererseits den Ursprung jener Unterschiede empirisch nachweisen in der Beschaffenheit der Eltern; und noch dazu ist das Zusammentreffen und die Verbindung dieser Eltern offenbar das Werk höchst zufälliger Umstände gewesen. – Durch solche Betrachtungen nun werden wir mächtig hingewiesen auf den Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Wesen an sich der Dinge, als welcher allein die Lösung jenes Problems enthalten kann. Nur mittelst der Formen der Erscheinung offenbart sich das Ding an sich: was daher aus diesem selbst hervorgeht, muß dennoch in jenen Formen, also auch am Bande der Ursächlichkeit auftreten: demzufolge wird es hier sich uns darstellen als das Werk einer geheimen, uns unbegreiflichen Leitung der Dinge, deren bloßes Werkzeug der äußere, erfahrungsmäßige Zusammenhang wäre, in welchem inzwischen Alles was geschieht durch Ursachen herbeigeführt, also nothwendig und von außen bestimmt eintritt, während der wahre Grund davon im Innern des also erscheinenden Wesens liegt. Freilich können wir hier die Lösung des Problems nur ganz von Weitem absehn, und gerathen, indem wir ihm nachdenken, in einen Abgrund von Gedanken, recht eigentlich, wie Hamlet sagt, thoughts beyond the reaches of our souls . Ueber diese geheime, ja selbst nur gleichnißweise zu denkende Leitung der Dinge habe ich meine Gedanken dargelegt in dem Aufsatz »Ueber die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen«, im ersten Bande der Parerga. –
    Im § 14 meiner Preisschrift über die Grundlage der Moral findet man eine Darstellung des Egoismus , seinem Wesen nach, als deren Ergänzung folgender Versuch, seine Wurzel aufzudecken, zu betrachten ist. – Die Natur selbst widerspricht sich geradezu, je nachdem sie vom Einzelnen oder vom Allgemeinen aus, von innen oder von außen, vom Centro oder von der Peripherie aus redet. Ihr Centrum nämlich hat sie in jedem Individuo: denn jedes ist der ganze Wille zum Leben. Daher, sei dasselbe auch nur ein Insekt, oder ein Wurm, die Natur selbst aus
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