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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Autoren: Arthur Schopenhauer
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hätte. Der Mensch wird also inne, daß er gethan hat, was seinem Willen eigentlich nicht gemäß war: diese Erkenntniß ist die Reue. Denn er hat nicht mit völliger intellektueller Freiheit gehandelt, indem nicht alle Motive zur Wirksamkeit gelangten. Was die der That entgegenstehenden ausschloß, war, bei der übereilten, der Affekt, bei der überlegten, die Leidenschaft. Oft hat es auch daran gelegen, daß seine Vernunft ihm die Gegenmotive zwar in abstracto vorhielt, aber nicht von einer hinlänglich starken Phantasie unterstützt wurde, die ihm den vollen Gehalt und die wahre Bedeutung derselben in Bildern vorgehalten hätte. Beispiele zu dem Gesagten sind die Fälle, wo Rachsucht, Eifersucht, Habsucht zum Morde riechen: nachdem er vollbracht ist, sind diese erloschen, und jetzt erheben Gerechtigkeit, Mitleid, Erinnerung früherer Freundschaft, ihre Stimme und sagen Alles, was sie vorhin gesagt haben würden, wenn man sie hätte zum Worte kommen lassen. Da tritt die bittere Reue ein, welche spricht: »Wär' es nicht geschehn, es geschähe nimmermehr.« Eine unvergleichliche Darstellung derselben liefert die berühmte, alte Schottische, auch von Herder übersetzte Ballade: »Edward, Edward!« – Auf analoge Art kann die Vernachlässigung des eigenen Wohls eine egoistische Reue herbeiführen: z.B. wann eine übrigens unrathsame Ehe geschlossen ist, in Folge verliebter Leidenschaft, welche jetzt eben dadurch erlischt, wonach nun erst die Gegenmotive des persönlichen Interesses, der verlorenen Unabhängigkeit u.s.w. ins Bewußtseyn treten und so reden, wie sie vorher geredet haben würden, wenn man sie hätte zum Worte kommen lassen. – Alle dergleichen Handlungen entspringen demnach im Grunde aus einer relativen Schwäche des Intellekts, sofern nämlich dieser sich vom Willen da übermeistern läßt, wo er, ohne sich von ihm stören zu lassen, seine Funktion des Vorhaltens der Motive hätte unerbittlich vollziehn sollen. Die Vehemenz des Willens ist dabei nur mittelbar die Ursache, sofern sie nämlich den Intellekt hemmt und dadurch sich Reue bereitet. – Die der Leidenschaftlichkeit entgegengesetzte Vernünftigkeit des Charakters, sôphrosynê , besteht eigentlich darin, daß der Wille nie den Intellekt dermaaßen überwältigt, daß er ihn verhindere, seine Funktion der deutlichen, vollständigen und klaren Darlegung der Motive, in abstracto für die Vernunft, in concreto für die Phantasie, richtig auszuüben. Dies kann nun sowohl auf der Mäßigkeit und Gelindigkeit des Willens, als auf der Stärke des Intellekts beruhen. Es ist nur erfordert, daß der letztere relativ , für den vorhandenen Willen, stark genug sei, also Beide im angemessenen Verhältniß zu einander stehn. –
    Den, § 62 des ersten Bandes, wie auch in der Preisschrift über die Grundlage der Moral, § 17, dargelegten Grundzügen der Rechtslehre sind noch folgende Erläuterungen beizufügen.
    Die, welche, mit Spinoza , leugnen, daß es außer dem Staat ein Recht gebe, verwechseln die Mittel, das Recht geltend zu machen, mit dem Rechte. Des Schutzes ist das Recht freilich nur im Staate versichert, aber es selbst ist von diesem unabhängig vorhanden. Denn durch Gewalt kann es bloß unterdrückt, nie aufgehoben werden. Demgemäß ist der Staat nichts weiter als eine Schutzanstalt , nothwendig geworden durch die mannigfachen Angriffe, welchen der Mensch ausgesetzt ist und die er nicht einzeln, sondern nur im Verein mit Andern abzuwehren vermag. Sonach bezweckt der Staat:
    1) Zuvörderst Schutz nach außen, welcher nöthig werden kann sowohl gegen leblose Naturkräfte, oder auch wilde Thiere, als gegen Menschen, mithin gegen andere Völkerschaften; wiewohl dieser Fall der häufigste und wichtigste ist: denn der schlimmste Feind des Menschen ist der Mensch: homo homini lupus . Indem, in Folge dieses Zwecks, die Völker den Grundsatz, stets nur defensiv, nie aggressiv gegen einander sich verhalten zu wollen, mit Worten, wenn auch nicht mit der That, aufstellen, erkennen sie das Völkerrecht . Dieses ist im Grunde nichts Anderes, als das Naturrecht, auf dem ihm allein geblichenen Gebiet seiner praktischen Wirksamkeit, nämlich zwischen Volk und Volk, als wo es allein walten muß, weil sein stärkerer Sohn, das positive Recht, da es eines Richters und Vollstreckers bedarf, nicht sich geltend machen kann. Demgemäß besteht dasselbe in einem gewissen Grad von Moralität im Verkehr der Völker mit einander, dessen Aufrechthaltung Ehrensache der
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