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Die Welle

Titel: Die Welle
Autoren: Morton Rhue
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behauptet, sie hätten von den Grausamkeiten nichts gewusst.«
    Ein schwarzhaariger Junge namens Eric hob die Hand. »Das ist doch Unsinn!«, rief er. »Wie kann man denn Millionen von Menschen abschlachten, ohne dass jemand etwas davon weiß?«
    »Ja«, stimmte ihm der Junge zu, der vor der Stunde einen Streit mit Robert Billings angefangen hatte. »Das kann überhaupt nicht stimmen!«
    Für Ben war es ganz offensichtlich, dass der Film den größten Teil der Klasse angesprochen hatte, und das freute ihn. Es war gut, dass sie sich über irgendetwas einmal Gedanken machten. »Nun ja«, sagte er zu Eric und Brad, »ich kann euch nur sagen, dass die meisten Deutschen nach dem Krieg behauptet haben, sie hätten von den Konzentrationslagern und den Massenmorden nichts gewusst.«
    Jetzt hob Laurie Saunders die Hand. »Aber Eric hat Recht«, sagte sie. »Wie konnten sich denn die Deutschen ganz ruhig verhalten, während die Nazis massenweise Menschen abschlachteten, und dann behaupten, sie hätten von alledem nichts gewusst? Wie konnten sie das tun? Und wie konnten sie es auch nur behaupten?«
    »Auch dazu kann ich nur sagen, dass die Nazis sehr straff organisiert waren und dass sie gefürchtet wurden. Das Verhalten der übrigen deutschen Bevölkerung ist ein Rätsel: Warum haben sie nicht versucht, das Geschehen aufzuhalten? Wie konnten sie behaupten, von alledem nichts gewusst zu haben? Die Antworten auf diese Fragen kennen wir nicht.«
    Eric hob abermals die Hand: »Ich kann jedenfalls nur sagen, dass ich nie zulassen würde, dass eine kleine Minderheit die Mehrheit bevormundet.«
    »Stimmt«, bestätigte Brad. »Mich brächten ein paar Nazis nicht dazu, so zu tun, als würde ich nichts mehr hören und sehen!«
    Andere Hände waren noch erhoben und kündigten Fragen an, als die Glocke läutete und die Schüler aus dem Klassenraum drängten.
    David Collins stand auf. Sein Magen knurrte. Am Morgen war er zu spät aufgestanden und hatte sein übliches dreigängiges Frühstück ausfallen lassen müssen, um nicht zu spät zur Schule zu kommen. Obgleich er von dem Film, den Mister Ross vorgeführt hatte, durchaus beeindruckt war, konnte er im Augenblick nur daran denken, dass jetzt erst einmal Zeit zum Mittagessen war. Er schaute zu seiner Freundin Laurie Saunders hinüber, die noch an ihrem Platz saß.
    »Komm, Laurie ! «, drängte er. »Wir müssen sehen, dass wir schnell in die Cafeteria kommen. Du weißt doch, wie lang sonst die Schlange wird.«
    Aber Laurie winkte ihm, er solle schon vorgehen. »Ich komme später nach.«
    David zögerte. Er schwankte ein Weilchen, ob er auf seine Freundin warten oder erst einmal seinen hungrigen Magen füllen sollte. Der Magen siegte, und David verließ die Klasse.
    Nachdem er fort war, stand Laurie auf und sah ihren Lehrer an. Es waren nur noch wenige Schüler im Raum. Abgesehenvon Robert Billings, der gerade aus seinem Schlaf erwachte, waren es vor allem diejenigen, die der Film am stärksten beunruhigt hatte. »Ich kann nicht glauben, dass alle Nazis so grausam gewesen sein sollen«, sagte Laurie zu ihrem Lehrer. »Ich glaube nicht, dass überhaupt jemand so grausam sein kann.«
    Ben nickte. »Nach dem Krieg haben viele Nazis versucht, ihr Verhalten damit zu erklären, dass sie nur Befehle ausgeführt hätten und dass jede Weigerung ihr eigenes Leben gefährdet hätte.«
    Laurie schüttelte den Kopf. »Das ist keine Entschuldigung. Sie hätten doch fortlaufen können. Sie hätten sich wehren können. Sie hatten doch ihre eigenen Augen und ihren eigenen Verstand. Sie konnten selber denken. Niemand befolgt doch blind solche Befehle!«
    »Genau das haben sie aber getan«, wiederholte Ben. Abermals schüttelte Laurie den Kopf. » Das ist Wahnsinn!«, sagte sie. »Das ist vollendeter Wahnsinn!«
    Ben konnte nur zustimmend nicken.
     

Robert Billings versuchte, sich an Bens Tisch vorbeizudrücken. »Robert«, sagte Ben, »warte bitte einen Augenblick.«
    Der Junge blieb stehen und konnte dem Lehrer nicht in die Augen sehen. »Bekommst du zu Hause nicht genug Schlaf?«, fragte Ben. Der Junge nickte.
    Ben seufzte. Seit Monaten versuchte er, mit diesem Jungen zu reden. Es gefiel ihm nicht, dass die anderen ihn verspotteten,und es ärgerte ihn, dass Robert nicht wenigstens versuchte, wirklich zur Klasse zu gehören. »Robert«, sagte sein Lehrer streng, »wenn du dich nicht dazu überwinden kannst, im Unterricht mitzuarbeiten, werde ich dir nicht helfen können. Wie die Dinge gegenwärtig
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