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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
Autoren: Pia Solèr
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geflickte Hosen und eine Bluse aus Amerika.
    Heute sagte eine Kundin: »Ich mag einfach den Laden, wenn du da bist.« Danke, hat mich sehr gefreut. Ein anderer hat mir eine Ragusa geschenkt. Schöne Gesten, die einfach gut tun.
    Nach den gelungenen Spaghettis für Mensch und Hunde ist mein Freund in seinem schönen Fuchsgewand zum Fuchsen gegangen. Ich laufe mit den Hunden. Unter dem Sternenhimmel ist es so schön zum Laufen. Der Liebesbote strahlt heller und grösser als die anderen. Mein Freund und seine beiden Kinder haben ihn in Diesrut am selben Abend erstmals wahrgenommen wie ich in Scharboda. Seitdem ist er unser Stern. Wir wissen immer noch nicht, wie er heisst, aber das ist nicht wichtig. Hauptsache, wir erkennen ihn.
    Jetzt habe ich eine Teemischung gemacht: Brennnesseln, Birkenblätter, Spitzwegerich, Frauenmantel, Thymian, Hornklee, Johanniskraut und Malve. Schmeckt ausgezeichnet.
    Er sagte, du wirst den Wolf sehen. Der Wolf erschien mir im Traum, so wie er es gesagt hatte, so klar. Am Morgen, als ich erwachte und der Traum mir wieder einfiel, wusste ich es, er war in die ewigen Jagdgründe gegangen.
    Es regnet im Dezember. Il zuffel schüttelt manchmal die Fensterläden.
    Alleinsein. Ich glaube, es ist eine Gabe, wenn man das kann.
    Der Zuffel hat mit l’aura dado gewechselt. Es schneielet ein wenig. Wahrscheinlich schneit es in Zürich mehr als hier.
    Einmal sassen Gabriel und ich vor der Hütte in Parvenseuls, ich erwähnte l’aura dado, und gleich kam sie um die Ecke der Hütte, sie hatte es gehört. Nur während einem Atemzug, dann war sie wieder weg.
    Winde sind riesige Elemente. Manchmal sind sowohl l’aura dado als auch il zuffel am Werk. Dann donnert es. Das sind Küsse, kraftvolle Küsse. Wenn Nebelschwaden sich um die Berge schmiegen, werden sie hinauf und davon getragen, ein Schauspiel der Natur. Da braucht man keinen Fernseher.
    Am ersten Abend in der oberen Hütte war die ganze Schafherde am Zaun, den ich neu errichtet habe. Sie hatte hier noch nie übernachtet und wollte weg. So blieb ich beim Zaun. Es regnete ein wenig, und verrückte Blitze zogen über uns hinweg. Sie schlugen nicht ein, doch die Atmosphäre war geladen. Unwirkliche Farben zogen über die Schafe hinweg, sie hatten Angst. Plötzlich merkte ich, dass meine Haare zu Berge standen, dachte, ach, das ist Einbildung, dann wieder, opla, doch nicht Einbildung. Auch mir wurde es mulmig zumute, und beim Einnachten lief ich in die schützende Hütte. Die Schafe lagen am Morgen genau da, wo ich sie zurück gelassen hatte. Alle hatten die Nacht gut überstanden.
    Einmal fuhren Gabriel und ich mit dem Zug in die Pyrenäen. Wir mieteten ein Auto und fuhren über die Pässe. Es war ein herrlicher Oktober, alle Pässe frei, kein Schnee. So waren wir an einem Tag in Spanien, am nächsten in Frankreich. Zwischendrin machten wir Wanderungen. In einem Nationalpark liefen wir gemütlich eine Alp hinauf und kamen am Grat an. Welcher Ausblick! Wir sahen Gemsen, ganz andere als die bei uns, dann Bartgeier, die ihre Runden zogen. Und auf der anderen Seite des Grats präsentierte sich ein riesiges Gebiet mit Bergseen. Wir hatten zum Glück eine Karte dabei, die wir zufällig am Morgen gekauft hatten. Es war schon Nachmittag, trotzdem wollten wir die Seen aus der Nähe sehen. So liefen wir hinunter. Grosse Fische schwammen im klaren Wasser. Die Weite des Gebiets hatten wir total unterschätzt. Wir mussten auf einen anderen Grat hinauf, um von dort auf den Weg zurück zum Auto zu gelangen. Wir liefen zügig bergan. Als wir oben waren, war das Abendrot schon da, und wir wussten, dass es bald dunkel werden würde. Nun sprangen wir den Hang hinab, um zur Strasse zu kommen, eine Taschenlampe hatten wir nicht dabei. Ich hatte mir die Seen auf der Karte gemerkt und zählte jedes Mal, wenn wir einen hinter uns hatten. Die Wege waren mit aufeinandergestapelten Steinen markiert. Gabriel lief voraus. Dann aber war es soweit: Die Dunkelheit hatte uns eingeholt.
    Gabriel stand still. Er sagte: »Ich weiss nicht mehr weiter.« In mir regte sich ein Impuls: »Lass mich voraus.« Ich lief, wie von einer inneren Stimme geführt, und siehe da: Wir waren auf der Strasse. Sie zog sich durch einen Wald. In den Gasthäusern hatten wir wilde Schweineschädel gesehen mit riesigen Zähnen. Hoffentlich lauerten die uns nicht auf. Als wir auf der Hauptstrasse angelangt waren, sahen wir, dass das Auto weiter oben parkiert war. Wir entschieden, dass ich zum Hotel laufe und er
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