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Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen

Titel: Die Weite fühlen - Solèr, P: Weite fühlen
Autoren: Pia Solèr
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unter so einen komme, ist es aus. Ich schaffte es, an den Rand zu gelangen und schon war die Lawine unten. T . war nicht zu sehen. Tausend Gedanken sprangen durch mein Gehirn, was sage ich bloss seiner Frau? Trotzdem blieb ich klar, sagte zu den Kollegen, die inzwischen auch angekommen waren, sie sollten ihre Barryvox abstellen, ich würde suchen.
    Da erschien T ., die Lawine hatte ihn am Rande umgerissen, aber er war unversehrt aus ihr herausgekommen, nur die Sonnenbrille hatte er verloren. Ach, welche Erleichterung! Wir tranken Tee und assen etwas bei der Hütte. Wir waren mit der Angst davon gekommen und die Sonnenbrille fand er wieder im Sommer. Für diesen Tag hatten wir genug und fuhren nach Hause. Wind war aufgekommen. Die Sorgen am Abend zuvor waren berechtigt gewesen.
    Im Winter habe ich schon Milchkühe, Ziegen, Schafe oder Mutterkühe gefüttert. Wenn ein Bauer krank war, einen Unfall hatte oder in den Ferien war. Meistens in Vrin und einmal in Lumbrein, auf 2000 Meter über Meer. Im Stall, zu dem ich zu Fuss hinauf lief, waren Mutterkühe. Er ist so eingerichtet, dass ich nur einmal am Tag füttern musste. Der Bauer hat ihn selber geplant und gebaut, auch die Hütte. Leider hatte ich noch in Cons Schafe zu versorgen und einzelne Fussreflexmassagen auf dem Programm. Deshalb konnte ich nicht oben wohnen. Ich genoss es aber, hinaufzulaufen. Mit dem Jeep hätte man bis fast hinauffahren können, aber mit meinem kleinen Justy ging das nicht. Ich laufe immer gerne, es sei denn, ich habe gerade Magen-Darm-Grippe. Einmal war das der Fall. Ich musste alle zwanzig Meter Pause machen und kotzen. Irgendwie kam ich oben an. Der Bauer hatte Red Bull, ich trank davon, es half.
    Am ersten Tag kam der Bauer mit hoch, um zu zeigen, wie es ging. Dann sagte er: »Nun kannst du das Futter verteilen.« Als ich das machte, verschwanden alle Kühe und Kälber aus dem Stall. Das fing ja gut an. Doch nach dem zweiten Tag waren sie schon an mich gewöhnt, und wir mochten einander. Abgesehen von einem Morgen, an dem mein Hund Mara und ich zum Stall hoch liefen. Mutterkühe mögen keine Hunde. Der weisse Stier kam mit einer Schar Kühe auf uns zu. Ich habe immer einen Stecken dabei, aber ihn nicht gebraucht. Mara und ich nahmen einfach einen anderen Weg. Eine Bäuerin, die auch da oben Schafe fütterte, fragte später: »Hast du denn keine Angst, die Kühe sind ja fast wild?« Ich: »Nein, wäre mir nicht in den Sinn gekommen.«
    Bei einem anderen Bauern sind die Mutterkühe angebunden. Einmal am Tag müssen sie freigelassen werden. Das gibt sehr viel mehr Arbeit. Auch dieser Bauer war zufrieden mit mir.
    Milchkühe sind wieder anders. Sie müssen gemolken werden, und wenn sie Kälber gebären, muss man sie ihnen wegnehmen. Einmal war ich gerade da, als eine kalben sollte. Ich war schon ganz nervös. Nach dem Füttern fuhr ich nach Hause, ass etwas Znacht und fuhr wieder zurück zum Stall. Ich machte es mir auf Strohballen bequem und beobachtete die Kuh. Um Mitternacht war immer noch nichts im Gange, so fuhr ich heim, mir wurde langsam kalt im Stall. Am Morgen war das Kalb immer noch nicht da, ich fütterte die Kuh, und plötzlich kam das Kalb. Es war wie ein Reh. Klein, zierlich wie die Mutter, eine Jersey, wunderschön. Am Abend lag die Kuh einfach da und frass nichts, gab fast keine Milch. Ich meldete das dem Bauern. Der Tierarzt kam, gab der Kuh eine Infusion, und gut war es, das Kalb war wohlauf. Bis es eines Tages wie tot da lag, als ich in den Stall kam. Oh nein, wieder Tierarzt. Langsam kam es auf die Beine, hinkte plötzlich, das Knie war geschwollen. Der Bauer, der das Füttern dann wieder übernahm, meinte, das sei nicht so schlimm. Später verlor er das Kalb. Jeder Bauer hantiert ein wenig anders mit seinen Tieren. Wenn ich aushelfe, mache ich es so, wie der Bauer es wünscht.
    Die Leute fragen mich oft, ob mir oben auf der Alp nicht langweilig sei. Nein, Langeweile kommt selten auf. Auch an den Nebeltagen, an denen ich mit den Schafen nicht viel machen kann, kann ich mich gut verweilen. Kleider waschen, putzen, holzen, lesen, malen, filzen, schreiben.
    Am zweitletzten Abend vor der Alpabfahrt, ich hatte am Tag Schafe gesammelt, läutete in Vanescha das Telefon. Der Alpmeister, der kurz vor der Alpabfahrt kommt, um die Schafe auf der unteren Weide zu hüten, während ich die verstreuten Schafe einsammle, war auch da. Wir waren beim Nachtessen, ich lief zur Kabine. Gabriel sagte, er habe gesehen, dass noch ungefähr
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